In den 60er Jahren machte sich Markus daran, Weg-Stationen des Gesalbten Jesus in einer kleinen Schrift festzuhalten. Er betitelte sein Werk mit „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus“. Er wollte damit nicht nur sagen, dass die erfolgreiche Ausbreitung in Jesus den Anfang genommen hat, sondern auch, dass die Gestalt Jesu bleibende Grundlage ist, bleibender Ausgangspunkt für die Gemeinden. Die Ereignisse um Jesus haben sich 40 Jahre zuvor so zugetragen, wie er es schreibt. Aber sie sind mehr als eine Schilderung. Es ist auch Motivation. Das beschriebene Wirken Jesu motiviert immer noch und macht immer noch Mut. Es handelt sich nicht nur die Gute Nachricht, die in der Vergangenheit „war“, sondern immer noch „ist“, weiterhin Wirkkraft hat. Das Evangelium ist nicht der „Bericht über Jesus“, sondern die beglückende Tatsache, dass es diesen Mann gegeben hat und dass er so viel Heilsames in Gang gesetzt hat und dass er in der Weltgeschichte nach wie vor Impulse setzt. Paulus schreibt 56 n.Chr., er sei berufen, das „Evangelium von Jesus Christus“ zu verkünden (Röm 1,4). Er erzählt zwar nichts vom damaligen Wirken Jesu. Aber die Tatsache selbst, dass Jesus HERR ist, dem man sich überlassen kann, ist die Gute Nachricht. Das meint Markus mit der Überschrift: Evangelium von Jesus Chrsitus

 

Markus leitet sein Buch nicht mit der Geburt Jesu ein, wie Matthäus und Lukas und wie es römische Schriftsteller über Kaiser-Biographien tun. Stattdessen führt er uns gleich jene starke Persönlichkeit vor Augen, die den Weg Jesu gebahnt hat, die also sein Auftreten vorbereitet hat. Markus lässt feierlich das biblischen Wort erklingen: „Stimme eines Rufers, der in der Wüste schreit. Er verlangt dringend: Macht den Weg für den HERRN bereit. Das Kommen Gottes steht bevor. Richtet die Straßen her, begradigt sie für den HERRSCHER DER WELT.“ So steht es beim Propheten Jesaja.

Markus spannt noch ein anderes Bibelwort davor, sagt aber nicht, dass es von einem anderen Propheten stammt, nämlich von Maleachi. „Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg bahnen wird.“

Markus beginnt dann seine Schrift mit dem Auftritt des Johannes, dem Wegbereiter. Er schildert es folgendermaßen: Johannes wurde in der Wüste zum Taufenden. Es fügte sich so, dass er den Ritus des Untertauchens entwickelte. Aus heutiger Sicht kann man die Taufe, die seine eigene Erfindung war, als eines der größten spirituellen Rituale der Menschheit bezeichnen.

 

Johannes verkündete das „Eintunken“ in das Wasser. Geläufig ist uns eher das Wort „Taufe“, aber das erinnert uns an die übliche Kindertaufe, bei der dem Kleinkind ein wenig Wasser über den Kopf gegossen wird. Viele glauben auch, es sei Reinwaschung damit gemeint. Reinigung war nicht der Sinn des Ritus bei Johannes. Ihm kam es auf das völlige Untertauchen an. Das griechische Wort BABTIZO bedeutet eintauchen, eintunken. Das Wort wird auch verwendet, wenn jemand in der Menschenmenge untertaucht. Johannes meinte beim Untertauchen also nicht so sehr das Reinigen, sondern an das Sterben. Auch das Wort „Umkehr“ ist missverständlich. Es kommt vom griechischen META-NOIA. Genau betrachtet heißt es: im Nachhinein zur Einsicht kommen. Johannes hält es für notwendig, inne zu halten, sich Zeit zu nehmen für eine Lebensrückschau und das Bisherige in den Fluten des Jordan symbolisch untergehen zu lassen. Dieser Ritus müsse – so Johannes – hinein münden in ein Umdenken. Das Wort META-NOIA  mit Umkehren zu übersetzen würde ja heißen eine Kehrtwendung zu machen und den Weg zurück zu gehen. Wer kann schon seinen Lebensweg zurück gehen? Johannes war überzeugt: Wer eine ehrliche Rückschau hält, wird zu einer Einsicht kommen. Er wird die bisherige Richtung nicht so weiter gehen, sondern wird sich ab nun ganz neu ausrichten. Wer zu beidem bereit ist – nämlich zur Lebensrückschau mit Einsicht und zum Eintunken-Lassen im Wasser – dem sichert Johannes vollkommenen Erlass seiner Vergehen zu: „Du  kannst ganz neu anfangen. Das Vergangene wird dir nicht mehr vorgerechnet.“ Johannes verkündete dieses Programm wie ein Herold, den ein König ausgesendet hatte, um seinem Land eine wichtige Botschaft mitzuteilen. Das griechische Wort für „verkünden“ kommt vom „Herold“. Markus formuliert das Ganze sehr knapp so: „Johannes wurde ein Untertauchender in der Wüste und heroldete das Untertauchen des Umdenkens hinein in den Erlass von Vergehen.“

 

Die Botschaft des Johannes hatte eine enorme Wirkung und löste eine landesweite Betroffenheit aus. Die ganze Bewohnerschaft des Bezirkes Judäa und die Einwohner von Jerusalem zogen hinaus zu ihm. Das bedeutete einen Anmarsch von 30 km und mehr. Im Umkreis der Taufstelle des Johannes wird es Zelte zur Nächtigung in der Wüste gegeben haben, denn die Pilger konnten nicht am selben Tag heimkehren. Sie hörten ihm zu, wenn er seine Botschaft vortrug. Sie baten um Einzelgespräche, um ihm ihre Verfehlungen anzuvertrauen. Sie standen zu ihren Vergehen in aller Offenheit. Sie zählten nicht einfach Sünden auf, wie sie in der üblichen Religion anhand der Gebote aufgelistet werden, sondern sie schauten ehrlich hin auf ihre eigene Geschichte und sprachen über ihr Fehlverhalten. Sie redeten auch nicht um den heißen Brei herum, sondern sie legten ein gründliches Bekenntnis ab. Dann ließen sie sich ganzkörperlich eintunken. Es muss eine beglückende Erfahrung gewesen sein, die sie lebenslänglich in Erinnerung behielten. Sie blieb tief eingeprägt. Auch später noch wurde ihnen von Zeit zu Zeit  bewusst: „Ich muss innehalten und mein Leben bedenken, damit der Ritus damals nicht umsonst war.“

 

Das äußerliche Auftreten des Johannes war alles andere als vornehm. Er war nicht in Seide gekleidet und speiste nicht fein an der Tafel. Er mied Fleischgerichte und Wein. Um seine Schultern hatte er ein Gewand von Kamel-Haaren geworfen. Diese Art der Kleidung hatte er wohl von den Beduinen übernommen, was darauf hindeutet, dass er das Leben der Wüstenbewohner eine Zeitlang geteilt hatte. Um seine Hüften hatte er einen auffallend breiten Lederschurz gebunden. Das könnte eine Anspielung darauf sein, dass er bewusst diesen Körperteil bedeckte, der für Zeugung der Nachkommenschaft vorgesehen ist. Seine Ernährung war fleischlos, stattdessen speiste er Heuschrecken, wie sie in der Wüste oft in Schwärmen daher geflogen kamen. Wenn die Mittagssonne zu heiß wurde, machten sie Zwischenlandung am Boden. Das wussten die Beduinen: Jetzt mussten sie die eiweißreichen Insekten schnell in Säcke sammeln, im Wasser aufkochen und danach trocknen. Damit schaffte man sich einen Vorrat. Getrunken hat Johannes keinen Wein, sondern Wasser, in dem er sich den Honig der Wildbienen aufgelöst hat. Die Waben dieser Bienen fanden sich in Felsspalten oder in trockenem Gestrüpp. Johannes lebte somit in mehrfacher Hinsicht enthaltsam.

Bei solch einer Persönlichkeit, die über Wortgewalt verfügte und der das halbe Land Vertrauen entgegen brachte, tauchte bald die Frage auf, ob er nicht die Führung im Volk übernehmen und Veränderungen im Land herbeiführen könnte. Dem beugte Johannes mit seiner zweiten Botschaft vor. Auch die verkündete er wie ein Herold: „Der Stärkere kommt erst noch! Er kommt nach mir.“ Johannes sagte nicht: „Nach mir kommt EINER, der Stärker ist …“, sondern DER Stärkere. Er fügte hinzu: „Ich bin untauglich. Ich komme bei weitem nicht an ihn heran. Es wäre nicht einmal angemessen, wenn ich mich vor ihm niederbeugen würde, um ihm die Lederbänder seiner Sandalen aufzulösen. Das würde ein Lehrer von seinen Schülern nicht verlangen können, höchstens ein Herr von seinem Sklaven. Ich bin nicht einmal ausreichend für den Dienst des Knechtes für den Herrn. So weit liege ich hinter ihm zurück.“

 

Zukunftsweisend sagte er noch: „Ich habe nur einen Ritus vollzogen, nämlich euch in Wasser einzutunken. Das war meine Mission. Mein Ritus wies nur hin auf etwas Heiliges, auf etwas Heilsames. Es war eine symbolische Handlung, in der euch das Handeln Gottes versprochen wurde, nämlich der Schulderlass. Seine Mission hingegen wird es sein, euch in heiligen Hauch einzutauchen. Durch diesen Hauch werdet ihr auserwählt, werdet ihr beiseite genommen und geheiligt. (Das Wort „heilig“ heißt ursprünglich „beiseite genommen, abgesondert für Gott“) Er taucht euch ein in den heiligen Atem Gottes. Im Originaltext steht nicht „er aber wird euch MIT dem Heiligen Geist taufen“, sondern „IN  heiligem Geist“. Das wird sein wie das Stehen im Windhauch der Liebe. Das Wort „Geist“ heißt griechisch PNEUMA und bedeutet Atem, Hauch, Wind.

 

Johannes ist somit der Mann an der Wende. Er bereitet die Bevölkerung auf das kommende neue Zeitalter vor. Wir sollten ihn daher nicht als eine Gestalt sehen, die der Vergangenheit angehört, sondern er ist gerade aktuell, wenn Menschen einen Umbruch  durchmachen – Einzelschicksale ebenso wie gesellschaftsweite Umbrüche. Wir haben derzeit ein paar herausragende Persönlichkeiten innerhalb der Kirche und in der Gesellschaft. Sie mahnen zum Umdenken. Diese Neu-Ausrichtung soll nicht nur eine gedankliche Überlegung sein, sondern sie muss ganzheitlich vollzogen werden: Untertauchen des Körpers! Anhand von Johannes lernen wir, dass unsere Krisenzeiten einem Durchwandern der Wüste gleichen bis hin zum Fluss. Dort  bleiben wir stehen, sprechen ehrlich über unser bisheriges Leben, über die erfreulichen und über die dunklen Abschnitte. Während wir das Wagnis vollziehen, uns vom Früheren zu verabschieden, steht er an unserer Seite und spricht es aus: „Du bist befreit von deiner Last aus der Vergangenheit. Die Schuld wird dir erlassen.“ Derzeit macht die Menschheit eine solche Krise durch. Ob sie ihre Lektion lernt oder ob sie diese Gelegenheit verpasst, ist ungewiss. Einige scheinen bereit zu sein zum Umdenken. Sie richten gerade die Straßen her für das Kommen dessen, der unsere Rettung ist.

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