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12.März 2023      3.Fasten-Sonntag

Jesus und die Frau am Brunnen

gekürzt  Johannes 4,4-30

Jesus verließ Judäa und ging wieder nach Galiläa. Er musste aber den Weg durch Samarien nehmen. So kam er zu einer Stadt in Samarien, die Sychar hieß und nahe bei dem Grundstück lag, das Jakob seinem Sohn Josef vermacht hatte. Dort befand sich der Jakobsbrunnen. Jesus war müde von der Reise und setzte sich daher an den Brunnen; es war um die sechste Stunde.

Da kam eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagte zu ihr: Gib mir zu trinken! Seine Jünger waren nämlich in die Stadt gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen. Die Samariterin sagte zu ihm: Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um etwas zu trinken bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern. Jesus antwortete ihr: Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben. Sie sagte zu ihm: Herr, du hast kein Schöpfgefäß und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser? Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, wie seine Söhne und seine Herden? Jesus antwortete ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben fließt.Da sagte die Frau zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierherkommen muss, um Wasser zu schöpfen!

Er sagte zu ihr: Geh, ruf deinen Mann und komm wieder her! Die Frau antwortete: Ich habe keinen Mann. Jesus sagte zu ihr: Du hast richtig gesagt: Ich habe keinen Mann. Denn fünf Männer hast du gehabt und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Damit hast du die Wahrheit gesagt. Die Frau sagte zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berg Gott angebetet; ihr aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten muss. Jesus sprach zu ihr: Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden. Aber die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden. Gott ist Geist und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten. Die Frau sagte zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der Christus heißt. Wenn er kommt, wird er uns alles verkünden. Da sagte Jesus zu ihr: Ich bin es, der mit dir spricht.

Inzwischen waren seine Jünger zurückgekommen. Sie wunderten sich, dass er mit einer Frau sprach, doch keiner sagte: Was suchst du? oder: Was redest du mit ihr? Die Frau ließ ihren Wasserkrug stehen, kehrte zurück in die Stadt und sagte zu den Leuten: Kommt her, seht, da ist ein Mensch, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Christus? Da gingen sie aus der Stadt heraus und kamen zu ihm.

Dieser Abschnitt aus dem Johannes-Evangelium enthält sehr ursprüngliche Züge, die nicht erfunden sind, sondern sich so zugetragen haben müssen. Der Leser ist gewissermaßen mit am Schauplatz. Gleichzeitig tritt Jesus so ganz als ER in Erscheinung – genauso war er. Der ganze Text ist zu umfangreich, als dass er hier vollständig erörtert werden könnte. Wir beschränken uns auf den gekürzten Text.

Jesus war offenbar mit seinem Zwölferkreis am Heimweg von Jerusalem nach Galiläa. Er kam also von der südlichen Provinz Judäa. Normalerweise benutzten die galiläischen Juden die mehr als 150 km lange Route über Jericho und den Jordangraben, um wieder heim zu gelangen. Sie vermieden es, die Provinz Samaria zu durchwandern, die genau zwischen Judäa und Galiläa lag. Aus irgendeinem Grund war Jesus aber gezwungen, dennoch die unbeliebte Strecke zu wählen. Die Gruppe erreichte um die Mittagszeit Sychar, das heute Nablus heißt und eine bedeutende palästinensische Stadt ist. Die städtische Wasserstelle wird im Original-Text als „Quelle des Jakob“ bezeichnet, was heute „Jakobsbrunnen“ genannt wird. Dieser existiert noch und es ist eine Kirche darüber erbaut. Die Gruppe um Jesus hatte entschieden, am Markt Lebensmittel zu besorgen. Jesus selbst zog es vor, am Brunnen sitzen zu bleiben mit der Begründung: „Er war ermüdet.“ (nicht „müde“) Dieses Wort lässt uns nachempfinden, dass er ausgelaugt war von der vielen Beanspruchung durch Gespräche am Weg. Nur im Johannes-Evangelium tauchen hin und wieder solche Zwischensätze auf, die von einem Mitgefühl für Jesus zeugen.

Jesus und Frau am Brunnen.JPG

Jesus und die Samariterin (Gemälde von Angelika Kauffmann 1741–1807)

https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8988425

Das könnte von daher rühren, dass die Schilderung auf Johannes zurückgeht, „den Jünger, den Jesus liebte“ – der also durch eine Seelenverwandtschaft mit Jesus inniger verbunden war. Johannes hatte mehr Gespür dafür, was sein Meister mitmachte, es ging ihm  mehr nahe als den übrigen aus dem Zwölferkreis. Ein anderer Grund, dass Jesus am Brunnen wartetet, könnte auch sein, dass er geahnt hat:  Auf ihn kommt eine bedeutungsvolle Begegnung zu und dass er deshalb entschieden hatte, hier auszuharren. Tatsächlich kam eine Frau, um Wasser aus der Brunnentiefe herauf zu „ziehen“ (nicht zu „schöpfen“, denn geschöpft wird aus  Wasser, das mit der Hand erreichbar ist). Diese Arbeit war zwar Frauensache, aber Frauen taten es nicht in der Mittagshitze, sondern am kühlen Morgen oder am Abend. Offenbar wollte diese Frau Sozialkontakte am Brunnen vermeiden – nicht wegen des Corona-Virus, sondern wegen des Tratsch-Virus. Anlass für das abfällige Gerede boten ihre umstrittenen Männerbeziehungen, von denen wohl genügend Leute  in dieser Kleinstadt Bescheid wussten. Jesus hatte das an ihr offenbar mit seiner intuitiven Erkenntnis gemerkt. Trotzdem ging er ihr nicht aus dem Weg, sondern fing ein Gespräch mit ihr an und machte das sehr geschickt: „Gib mir zu trinken!“ Das war  nicht eine Bitte, sondern ein Verlangen. Die Frau war verblüfft über dieses Ansinnen, denn als Mitglied der samaritischen Glaubensgemeinschaft war sie von den rechtgläubigen Juden gemieden. Es bestand eine gestörte Volksbeziehung zwischen Samaritern und rechtgläubigen Juden. Sie ging auf eine Jahrhunderte zurückliegende Glaubensspaltung zurück. Die Kluft war nie richtig überwunden worden, sondern hatte sich eher vertieft, weil die Samariter auf ihrem Hausberg, dem Garizim, ein eigenes Heiligtum errichtet hatten – in Konkurrenz zum Tempel von Jerusalem. Erst die junge Jesus-Bewegung führte die getrennten Volksgruppen wieder zusammen. Das geschah schon ein paar Jahre nach Jesu Tod. „Die Apostel in Jerusalem hörten, dass Samaria das Wort Gottes angenommen hatte. Da schickten sie Petrus und Johannes dorthin“ (Apg 8,14)

Die frühkirchlichen Ansätze, die Kluft zu überbrücken, sind schon im Wirken Jesu selbst erkennbar. Es wird damit klar, dass Einzelbegegnungen nicht zu unterschätzen sind in ihrer langfristigen Wirkung. Das Verlangen nach Wasser von der Frau am Brunnen war eine dieser nachhaltigen Einzelkontakte.

Jesus sagte zu  ihr unverfroren: „Wenn du doch nur wüsstest, welchen Reichtum Gott zu verschenken hat. Wenn du Kenntnis davon hättest, wer dir soeben gegenüber steht und zu dir sagt: >Gib mir zu trinken<, dann wärest gerade du es gewesen, die von ihm etwas verlangt hätte, und er hätte dir Wasser des Lebens gegeben.“ Daraufhin redete sie ihn hochachtungsvoll mit „Herr“ an: „Du hast keinen Kübel, sodass du Wasser aus der Tiefe hochziehen könntest. Du bist doch nicht etwa einer, der größer ist als unser Stammvater Jakob. Uns hat er den Brunnen hinterlassen. Er hat auch selbst daraus getrunken. Auch seine Söhne und wieder deren Söhne haben daraus getrunken. Auch seine Herden.“ In ihrer Antwort schwingt Selbstbewusstsein mit: Hier ist noch ein Geschenk des Urvaters Jakob an das samaritische Volk. Dass sie nur die Söhne des Stammvaters Jakob und nicht auch die Töchter nennt, wohl aber die Schaf- und Ziegenherden, das mag uns zum Schmunzeln anregen.

 

Jetzt nützt Jesus die Gelegenheit, sie aufzuklären über den  wahren Durstlöscher, so wie ihn Jesus zu vergeben hat und womit er selber zu einem größeren Stammvater wird. Wer aus den Quellen trinkt, die Jesus anzubieten hat, wird kein Verlangen mehr haben nach den üblichen Durstlöschern. Er sagt: „Das Wasser, das ich ihm künftig geben werde, wird sich allmählich zu einer Quelle entwickeln, die aufspringt (= so die wörtliche Übersetzung) in das dauerhaft bleibende Leben.“ Dieses spirituelle Wort hat die Frau missverstanden. Das ist typisch für konsumorientierte Menschen und für heute  genauso. Sie wollte sich künftig das mühsame Wasserholen ersparen und eine Zapfstelle daheim bekommen. Jesus machte sich nicht die Mühe, ihr das geistliche Wort nochmals zu erklären, sondern wechselte das Thema: „Geh, und rufe deinen Mann und komm wieder her!“  Obwohl er wusste, dass sie in einer ungeordneten Partnerbeziehung lebte, ging er das ganz höflich und taktvoll an. Die Frau wollte sich herausreden und antwortete mit einer Halbwahrheit: „Ich habe keinen Mann!“ Jesus sprach mit ihr nun Klartext: „Schön und treffend hast du geantwortet, denn du hattest eine Handvoll Männer und mit dem du im Moment zusammenlebst, der ist nicht dein rechtmäßiger Mann. Damit hast du eigentlich nicht die Unwahrheit gesprochen.“ Diese Aussage war   immer noch ohne einen vorwurfsvollen oder verurteilenden Ton.  Sie war über diesen Scharfblick tief beeindruckt und nicht gekränkt. Sie sprach Jesus das dritte Mal mit „Herr“ an und würdigt ihn als prophetischen Menschen. Damit war sie beim Thema Religion. Was sie aber jetzt sagte, war nur vermeintliche Religion, in Wirklichkeit waren es religiöse Traditionen. Sie wies auf ihren Berg der Gottesverehrung hin, der in Konkurrenz stand zum Gotteshaus in Jerusalem: „Unsere Väter haben auf diesem Berg Gott angebetet; ihr aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten muss“. Jesus klärt sie auf, dass die wahre Gottesbeziehung nicht an Gebetsstätten und an Versammlungen in Gotteshäusern gebunden ist. „Die Zeit ist reif, zu Gott eine Vater-Sohn -Beziehung zu erlernen oder eine Vater Tochter Beziehung. Diese muss dann auch eingeübt werden. Dieser Lernprozess geht Hand in Hand mit Befreiung von materiellem Verlangen, denn der Lernende orientiert sich mehr und mehr am Spirituellen. Dieser Weg ist aufrichtig und wahr und lässt keine Halbwahrheiten mehr zu. So stellt sich der väterlich-fürsorgliche Gott vor, dass er wertgeschätzt und hoch geachtet wird. So will er es.“

Das ist Jesus: Er scheut sich nicht, eine unangenehme Region zu betreten und mutet das auch seinem Schülerkreis zu, nämlich Samaria. Er gesteht sich vor ihnen seine Schwäche ein: er ist ermüdet, er ist durstig. Trotz Erschöpfung  bleibt er offen für eine überraschende Begegnung. Es kommt zufällig oder gefügt die Wasserträgerin in der Mittagshitze, das ist sogar eine unübliche Zeit. Er mutet der Frau zu, ihn mit etwas zu versorgen: „Gib mir Wasser!“. Er versteht es, sie von ihrer vorgefassten Meinung (Wie kannst du als Jude …?) zu einer wesentlichen Frage hin zu lenken (Lebenswasser). Er deckt halbe Unwahrheiten so auf, dass es nicht verurteilend wirkt: „Der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann“. Er klärt auf, wieviel überholte Tradition noch im Glauben versteckt ist: „Väter haben auf diesem Berg angebetet“. Er regt zu einem Lernprozess an: Das eigene alte Gottesbild abbauen um dem neuen Platz zu machen, Gott mehr und mehr in väterlichen Zügen hochschätzen und als „die wahren Beter den Vater anbeten“.

 

Abschließend können wir uns fragen: Wie ist die Geschichte auf uns anwendbar? Zunächst ist sie ja ergreifend zu hören in ihren Einzelheiten. Wir geben uns aber nicht zufrieden, das Geschilderte nur als Ereignis zu verstehen. Wir begeben uns hinein und wollen in den Szenen selbst vorkommen. So ist da einmal die Rolle der Frau, in die wir eintreten können – in die „ich“ eintreten kann. Da bittet mich ein Unbekannter, aber freundlich Gesinnter, um eine kleine Gefälligkeit. Daraus entwickelt sich eine Begegnung, mit der ich nicht gerechnet habe. Eigentlich bin ich bewusst allein zum Brunnen gegangen und wollte den Leuten ausweichen, um zu verhindern, dass sie abfällig über mich reden. Stattdessen fordert mich ER zu einem Gespräch heraus. Nach und nach erweist ER sich als einer, der mich befreien kann aus alten Mustern und  aus selbst verschuldeten Lebensschienen. Er zeigt mir auf, in welchen Sackgassen ich stecke und dabei verurteilt er mich mit keiner Silbe. Ich darf mich vor ihm eröffnen und das tut gut. Er zeigt mir, wie überholt die Traditionen sind. Schließlich bin ich so beeindruckt von ihm, dass ich den Wunsch verspüre, meinen engsten Vertrauten davon zu erzählen.

 

Wir können auch in die Rolle der Jünger treten. Zuerst wundern wir uns, dass er   –   just während unserer Abwesenheit  –  Personen angesprochen hat, mit denen wir nie Kontakt aufnehmen würden. Wir verstehen das anfangs nicht, denn wir meinen, wir müssten die eigenen Kreise hegen und pflegen. Doch indem er uns den Hergang und seine geschickte Wortwahl beschreibt, legt er künftig das Schicksal ähnlicher Personen in unsere Hände. Es ist, als würde er uns sagen: Ihr handelt in Zukunft genauso wie ihr es von mir gelernt habt. Jesus wünscht sich eine Nachfolge-Gemeinschaft, er wünscht sich Kirchen-Runden, die so wie er dem Impuls folgen, an Plätze zu gehen, wo zunächst scheinbar niemand Ansprechbarer da ist. Wir sollen uns dort auf Überraschungen gefasst machen. Derzeit hüten die Kirchen-Gruppen nur das eigene Haus und betreuen dort ihre gewohnten Mitglieder. Je mehr sie jedoch Jesus zuschauen, umso mehr werden sie  es dann auch machen wie er: Fernstehende Menschen um Dienste bitten, die leicht zumutbar sind. Dabei ins Gespräch kommen mit ihnen. Dem Gespräch allmählich Tiefe geben, wenn sich die Gelegenheit bietet. Sobald unbewältigte Vergangenheit zum Vorschein kommt, darauf behutsam  und nicht beschuldigend oder belehrend eingehen. Sobald die Kirchen bereit sind, in die Schule Jesu zu gehen und versuchen, das umzusetzen, was sie an ihm sehen, werden sie nicht mehr an den alten Traditionen festklammern. Sie werden im Nu in neuem Glanz dastehen.  Jesus ist ein anspruchsvoller Lehrer, aber die Lerninhalte erweisen sich zügig  als wirksam.

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