12.Nov. 2023 33.Sonntag im Jahreskreis
Seht: Der Bräutigam kommt
Matthäus 25,1-13
Dann wird es mit dem Himmelreich sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die Törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die Klugen aber nahmen mit ihren Lampen noch Öl in Krügen mit. Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht aber erscholl der Ruf: Siehe, der Bräutigam! Geht ihm entgegen! Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus! Die Klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es nicht für uns und für euch; geht lieber zu den Händlern und kauft es euch! Während sie noch unterwegs waren, um es zu kaufen, kam der Bräutigam. Die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen und sprach: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.
Das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen überliefert uns nur Matthäus, sonst kein Evangelist. Wir heben gleich 3 Stichworte hervor, die wir vorweg erläutern müssen: die Jungfrauen, das Kommen des Bräutigams, die Öllampen. Matthäus schrieb erstens vorwiegend für Judenchristen und er konnte bei seinem Leserkreis voraussetzen, dass ihnen die jüdischen Hochzeits-Gepflogenheiten bekannt waren. Zweitens war er bestens vertraut mit den Alten Testament und er baute es ständig ein. Drittens beobachtete er mit Besorgnis die Vorgänge in den Gemeinden der 80er Jahre. Diese drei Gesichtspunkte müssen wir berücksichtigen, wenn wir die Aussage dieses Gleichnisses verstehen wollen. Beginnen wir mit den Gemeinde-Entwicklungen:
Schon im Jahr 50 lobt Paulus brieflich die von ihm ein Jahr zuvor gegründete Gemeinde von Thessaloniki, dass sie seinem Beispiel und dem des Herrn gefolgt sind. „Ihr wurdet ein Vorbild für alle Glaubenden in Mazedonien und Achaia … überall ist euer Glaube an Christus bekannt geworden.“ (1 Thess 1,7f) Paulus rechnete damit, dass in absehbarer Zeit Christus kommen würde, um seine Getreuen in einem Festzug zu sich zu holen: „Wir die Lebenden, die noch übrig sind bei der Ankunft des Herrn, werden den Entschlafenen nichts voraus haben. Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, … Über Zeiten und Stunden, Brüder und Schwestern brauche ich euch nicht zu schreiben. Ihr selber wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit!, kommt plötzlich Verderben über sie wie die Wehen über eine schwangere Frau.“ (1Thess 4,15 + 5,2f)
Im Jahr 55 musste Paulus seiner Sorgen-Gemeinde in Korinth schreiben, weil gegnerische Falschseelsorger aufgetreten waren: „Ich werbe eifrig um euch mit dem Eifer Gottes. Ich habe euch dem einzigen Mann verlobt, um euch als reine Jungfrau zum Messias zu führen. Ich fürchte aber … ihr könntet in euren Gedanken von der aufrichtigen und reinen Hingabe an den Messias abkommen.“ (2 Kor 11,2f)
Für Paulus ist jede Gemeinde eine Jungfrau, eine junge unverheiratete Frau, deren männlicher Beschützer der Christus geworden ist. Mit dem Bild der verlobten Frau greift Paulus auf das Gotteswort zurück, in dem schon 800 Jahre zuvor der Prophet Hosea die wechselvolle Beziehung des Volkes Israel mit Gott beschrieben hat. Er vergleicht sie mit einer schwierigen Liebesbeziehung. Gott spricht: „Ich verlobe dich mir auf ewig. Ich verlobe dich mir um den Brautpreis von Gerechtigkeit und Recht, von Liebe und Erbarmen. Ich verlobe dich mir um den Brautpreis der Treue.“ (Hos 2,21f) Der Brautpreis ist das, was zu erbringen ist, damit die Hochzeit rechtskräftig wird.
In den 90er Jahren verfasst der Presbyter Johannes Mahnbriefe an sieben Gemeinden. Die erste ist Ephesus, ihr schreibt er: „Ich kenne deine Taten und deine Mühe und deine Geduld. … Aber ich habe gegen dich: Du hast deine erste Liebe verlassen. Bedenke, aus welcher Höhe du gefallen bist. Kehre zurück zu deinen ersten Taten.“ (Off 2,4) Ähnlich besorgt ist Matthäus: Er muss feststellen, dass anfangs noch Feuer in den Gemeinden war, aber bei der Hälfte von ihnen ist nicht dafür gesorgt, dass das Leuchten länger anhält.
Dem Evangelisten lag scheinbar eine Bildgeschichte vor, die von Jesus stammte. Matthäus hat sie an seine Zeitumstände angepasst. Die bei Paulus in den 50er Jahren noch lebhaft geglaubte Naherwartung ist in den 80er Jahren verblasst. Viele Gemeinden begannen zu zweifeln am strahlenden Kommen des Messias, es dauerte ihnen schon zu lange. Einige Gemeindemitglieder waren schon verstorben, ohne die „Ankunft des Herrn“ zu sehen. Außerdem war die Anfangsbegeisterung geschwunden, das Leuchten war schwach geworden. Die meisten Gemeinden (=Jungfrauen) waren ermüdet, ja sogar eingeschlafen. Es fehlte ihnen an Frische und wachem Geist. Sicher geht auf Jesus die Mahnung zurück: „Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt, ob am Abend oder um Mitternacht, ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen.“ (Mk 13,35) Matthäus hat sie etwas geändert: „Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, >an welchen Tag euer Herr< kommt. … Darum haltet euch bereit.“ (Mt 24,42f) Auch wenn sich das Kommen in die Länge zog, sollten sich die Gemeinden bereithalten.
Die Hochzeitsgebräuche der Juden zur Zeit Jesu waren genau festgelegt: Den ersten Höhepunkt bildete das Kommen des Bräutigams, um die Braut in sein Elternhaus zu holen. Ein Mädchen hatte mit zwölfeinhalb Jahren das heiratsfähige Alter erreicht. Die Verlobung erfolgte ein Jahr zuvor, sodass der junge Mann und die junge Frau noch Gelegenheit hatten, näher miteinander bekannt zu werden. Denn die Eltern beiderseits hatten sie ja füreinander ausgesucht. Es war üblich, dass sich die Braut gemeinsam mit einer Schar von Mädchen am Tag der Hochzeit bereit machte, um den Bräutigam in ihrem Elternhaus zu empfangen. Die Mädchen waren mit ihr von Jugend auf befreundet und sie waren noch nicht verheiratet. Der große Augenblick war es, wenn der Bräutigam am Abend des ersten Festtages mit seinen Familienangehörigen und Freunden sich dem Haus der Braut näherte. Sie waren alle festlich gekleidet und das Haupt des Bräutigams schmückte ein Turban. Die noch verschleierte Braut wartete im eigenen Haus, während ihre Freundinnen dem Bräutigam und seinem Gefolge ein kleines Stück entgegen gingen, um ihn in Empfang zu nehmen. So beschreibt es auch das Gleichnis.
Das, womit die jungen Mädchen ihren nächtlichen Weg beleuchteten und dadurch auch Lichter-Stimmung machten, wird üblicherweise mit „Lampen“ übersetzt. Heutige Leser denken dabei sofort an die Öllämpchen, die handtellergroß waren, einen kurzen Docht hatten und in der Antike in den Häusern verwendet wurden. Archäologen haben sie in Mengen gefunden. Das griechische Wort „lampas“ bedeutet aber nicht Lampe, nicht Öllämpchen, sondern „Fackeln“. (Das Wort „lampas“ kommt auch bei der Festnahme Jesu am Beginn seines Leidensweges vor: „Judas holte die Soldaten … und sie kamen dorthin mit Fackeln, Laternen und Waffen.“ - Joh 18,3) Öllämpchen wären ungeeignet im Freien, sie hätten zu wenig Leuchtkraft und sie würden beim ersten Windstoß ausgelöscht, außerdem brauchten sie kein zusätzliches Öl in Reserve. Fackeln hingegen waren lange Stangen, oben umwickelt mit Lappen, die in Öl getränkt waren. Das Öl musste man in einem eigenen Gefäß mittragen und laufend wieder drauf gießen. So wird die Geschichte verständlicher.
Aus irgendwelchen Gründen verzögerte sich das Kommen des Bräutigams – aber dass er kommen würde, darüber bestand kein Zweifel. Er ließ sich einfach Zeit. Der Abend zog sich in die Länge. So wurden alle schläfrig. Der Originaltext sagt nicht „sie wurden müde“, sondern er zeichnet es anschaulich: „Sie nickten ein“ – wahrscheinlich im Sitzen. Alle! Auch die Vernünftigen. Schließlich packt sie der Schlaf vollends. Sie nickten ein und schliefen. Alle! Matthäus denkt im übertragenen Sinn an die schläfrigen Gemeinden. Er ist schonungslos in seinem Urteil: Die Hoffnung auf den Messias ist bei allen eingeschlafen. Plötzlich entsteht in der Mitte der Nacht ein Geschrei: „Siehe! Siehe! Der Bräutigam! Ihr Mädchen, ihr seid jetzt dran. Geht hinaus und bereitet ihm den Empfang!“
Noch etwas benommen erhoben sich die Mädchen und machten sich bereit. Vor allem ging es darum, die Fackeln bereit zu machen. Die fünf Unvernünftigen sagten zu den fünf, die achtsam gewesen waren: „Gebt uns etwas von eurem Öl, denn unsere Fackeln sind schon am Ausgehen. Die Achtsamen erwiderten ihnen: „Das bringt nichts. Denn auf diese Weise würden wir beide die ganze Wegstrecke in der Dunkelheit nicht schaffen. Geht zu den Verkäufern. Kauft es euch dort.“ Während sie weggingen, um einzukaufen und das Geschäft zu erledigen, kam der Bräutigam. Die Vorbereiteten gingen mit ihm in die Hochzeitssaal, wo die Festlichkeit begann und das Tor wurde geschlossen. Mit Verspätung kamen auch die übrigen jungen Mädchen und riefen: „Herr, Herr, öffne uns.“ Er hörte sie und gab ihnen die Antwort, die ihnen gebührte: „Wahrhaftig ist, was ich euch sagen muss: Ihr gehört nicht zu dem Kreis, die mir vertraut sind, nicht zu denen, die ich kenne."
Die letzten beiden Verse verraten wieder deutlich die Handschrift des Matthäus: Der Ruf „Herr, Herr“ gehört nicht in die Hochzeitsgeschichte, denn so würden die Mädchen den Bräutigam nicht ansprechen. Er gehört in das eingeschlafene Gemeindeleben, das Matthäus bemängelt und wovor er warnen will. Wer das siebte Kapitel seines Evangeliums noch in Erinnerung hat, dem wird die Parallele auffallen: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel in die Tat umsetzt. Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, sind wir nicht … Dann werde ich ihnen antworten: Ich kenne euch nicht…“ (Mt 7,20f)
Inzwischen sind 2000 Jahre vergangen und das Kommen des Bräutigams im Lichtermeer lässt immer noch auf sich warten. So hat es jedenfalls den Anschein. Was würde Matthäus uns Heutigen sagen? Dasselbe wie damals: Er würde genauso schonungslos bemängeln, dass alle eingenickt sind und den Schlaf der Seligen schlafen. Ja, alle! Aber der Herr selbst ändert die Lage. Gerade, wenn die Nacht schon unerträglich lange dauert, erscheint plötzlich der Bräutigam. Er ist Hoffnungsgestalt und gleichzeitig Prüfstein. Gemessen an ihm zeigt sich, ob unsere Leuchtkraft ausreicht. Die Hälfte von uns hat noch Öl zum Leuchten, die andere Hälfte hat es nicht. Es würde nichts bringen, wenn die mit der stärkeren Leuchtkraft ihr Niveau nach unten hin an die anpassen, die nicht bereit waren. Sie können das Öl nicht an die Bequemen abgeben. Was könnte mit dem Öl für die Fackeln gemeint sein? Es ist das Christentum der Tat. „So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ (Mt 5,16) Damit sich die Gesellschaft in der Dunkelheit zurecht findet, genügt es schon, wenn wenigstens die Hälfte der Gemeinden genügend Öl zum Leuchten hat. Diejenigen, die das Potential (=das Öl) haben, dass sie einer zerrissenen Gesellschaft den Weg durch die Nacht zum Hochzeitsfest erleuchten, sollen ihre Fackeln mit Ausdauer leuchten lassen. Christen wie es heute erforderlich sind, bleiben dran an der Sache. Sie sind nicht Strohfeuer-Begeisterte, sondern Menschen mit Ausdauer, mit Durchhalte-Vermögen. Auch wenn es streckenweise ermüdend ist, lassen sie ihr Licht weiterhin leuchten. Sie sorgen für Vorrat an Leuchtkraft. Auch wenn die Durststrecken manchmal lang sind, wissen sie mit Sicherheit: Die festliche Stunde mit dem Gastgeber kommt noch.