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19.Juni 2022      12.Sonntag im Jahreskreis

Was bedeute ich euch?

Lukas 9,18-24

Und es geschah: Jesus betete für sich allein und die Jünger waren bei ihm. Da fragte er sie: Für wen halten mich die Leute? Sie antworteten: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija; wieder andere sagen: Einer der alten Propheten ist auferstanden. Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Petrus antwortete: Für den Christus Gottes. Doch er befahl ihnen und wies sie an, es niemandem zu sagen. Und er sagte: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er muss getötet und am dritten Tage auferweckt werden.

Zu allen sagte er: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten.

Dieser Abschnitt ist genommen aus der Mitte des Lukas-Evangeliums. Er bildet das Bindeglied zwischen erstem und zweitem Hauptteil. Den ersten könnte man überschreiben mit „Wirken in Galiläa“ (5,1 – 9,6), den zweiten mit „Weg nach Jerusalem“ (9,51 – 19,28). Diese Mitte umfasst Messias-Bekenntnis, Verklärung und Nachfolge-Bedingungen.

Es ergab sich, dass er betend allein war. Das Beten Jesu ist für Lukas ein Leitthema, er fügt es oft bewusst dort ein, wo es in seiner Vorlage gar nicht vorhanden ist. Lukas nützt es als Vorspann für eine nun kommende Wendung oder vor einer wichtigen Entscheidung: So etwa kurz bevor die Sendung Jesu beginnt: „Zusammen mit dem ganzen Volk ließ sich auch Jesus taufen. Während er betete, öffnete sich der Himmel.“ (Lk 3,21) Oder zu Beginn seines landesweiten Erfolges: „Sein Ruf verbreitete sich immer mehr, sodass die Menschen von überall herbei strömten. Sie alle wollten ihn hören und von ihren Krankheiten geheilt werden. Doch er zog sich an einen einsamen Ort zurück um zu beten.“ (Lk 5,16) Ein weiteres Beispiel: Vor der Auswahl der Zwölf: „In diesen Tagen ging er auf einen Berg um zu beten. Und er verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott. Als es Tag wurde, rief er seine Jünger zu sich und wählte aus ihnen zwölf aus, sie nannte er Apostel.“ (Lk 6,12)

Dies weist auf Gepflogenheiten in den frühen Gemeinden hin: Im Jahr 45 n.Chr. begann die erste Missionsreise von Barnabas und Saul. Sie konnten entsendet werden, nachdem die Verantwortlichen in der Gemeinde von Antiochia ein längeres Gebetsseminar gehalten hatten: „Da fasteten und beteten sie, legten ihnen die Hände auf und ließen sie ziehen.“ (Apg 13,3) Auf den Berg der Verklärung betete Jesus, sodass er leuchtend weiß zu sehen war: „Danach nahm Jesus Petrus, Johannes und Jakobus mit sich und stieg auf einen hohen Berg, um zu beten. Während er betete, veränderte sich das Aussehen.“ (Lk 9,28f)

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Am Fuß des mächtigen Bergmassives Hermon entspringt eine der drei  Jordan-Quellen. Dort lag damals die Stadt Cäsarea Philippi

So also auch vor der Frage über das Wesen seiner Person: „Jesus betete für sich allein und die Jünger waren bei ihm. Da befragte er sie.“​

Der Vorlage des Lukas (=Markus) ist es wichtig, den Ort der Jünger-Befragung zu nennen: Cäsarea Philippi. Er liegt in den Bergen im äußersten Norden des Landes, dort startete Jesus seinen letzten tragischen Weg nach Jerusalem. Lukas lässt diese Ortsangabe weg. Der Grund dürfte sein, dass er als einziger Evangelist über keine Ortskenntnis von Galiläa verfügte. Lukas hatte keine Vorstellung, wo Cäsarea liegt und lässt es einfach weg. Jesus befragt genau übersetzt seine Schüler nicht über die Volksmeinung übe ihn – nicht: Für wen halten mich die Leute?, sondern: Was reden sie, dass ich sein? Jesus befragt seine Jünger über das Gerede über ihn, also den Tratsch.

Die Jünger konnten ihm darauf sehr wohl eine Antwort geben. Sie wussten Bescheid darüber, wo die Leute Jesus in ihrem Reden einordneten. Sie sagten: „Einige setzen dich mit Johannes dem Täufer in Verbindung, der vor gut einem Jahr von Herodes ermordet wurde. Sie sagen: „Du bist der Johannes“. Andere Gruppen weisen dich dem Elias zu. „Du bist Elia“. Wieder andere setzen dich einem großen und wegweisendem Heiligen aus früheren Jahrhunderten gleich. Sie sagen: „Dieser Frühere ist jetzt auferstanden. Das Reden ist von Gruppe zu Gruppe zwar verschieden, aber sie sagen alle: Sie sehen in dir die Neuauflage einer früheren Glaubensgestalt.“

Jesus äußerte sich dazu nicht. Er hielt es nicht für nötig, diese Volksmeinungen zu widerlegen. Nein, er spitzte die Befragung auf sie selbst zu, die ihn nun schon fast drei Jahre begleiteten: „Ich möchte von euch, die ihr mein Schülerkreis seid, hören, wer ihr sagt, dass ich bin. Wer bin ich für euch? Was bedeute ich euch?“ Jetzt ergriff Petrus das Wort. Er zeichnete sich damit als Sprecher des Zwölferkreises aus. Er fand die Zustimmung aller zwölf. So sagte er: „Der Gottes.“ Petrus hatte dies in seiner Muttersprache gesagt und hatte für „der Gesalbte“ das Wort MASCHIACH (= Messias) verwendet. In der griechischen Übersetzung heißt dies CHRISTOS. Damit ist eine Gestalt genannt, nach der sich das jüdische Volk sehnt. Er ist die Hoffnungsfigur, also einer der in die Zukunft weist. Er ist nicht eine starke Persönlichkeit aus der Vergangenheit, der nun erneuert auftreten würde. Nein, er ist einer, der noch nie da war, aber einer, von dem das auserwählte Volk eine Vorahnung hatte, von dem vielleicht sehr viele denkenden Menschen auf der ganzen Erde eine Ahnung haben – oder zumindest eine Wunschvorstellung davon haben.

Wie ist dieses Jesus-Bild des Petrus und seiner Kollegen zu beurteilen? War es ein Glaubensbekenntnis, eine Art Credo? Oder war es ein freudiger Ausruf? -  Im Sinne von: Endlich gibt uns der Meister die Gelegenheit, frei heraus zu gestehen, was wir für ihn empfinden … als was wir ihn insgeheim schon lange verehren, das erlaubt er uns jetzt auszusprechen. Schwingt vielleicht ein wenig stolz mit? Wir zwölf sind die Bevorzugten, die diese Jahrhundert-Gestalt, den Messias, begleiten und näher kennenlernen durften. Jedenfalls ließ Jesus die Petrus-Äußerung unwidersprochen stehen. Er lobte sie nicht, rückte sie nicht zurecht, tadelte sie nicht. Nur eines tat er vorausschauend: Er befahl ihnen und er wies sie  dringend dazu an, dass sie es niemandem sagen sollten. Warum sie darüber schweigen sollten und wie lange das Redeverbot gelte, wird nicht gesagt.

Stattdessen erfolgt ein Themenwechsel. Jesus fügte zu dem gewaltigen Messias-Wort unmittelbar etwas fast Gegenteiliges an: „Der Menschensohn muss vieles erleiden“ Das ist ein Muss. Es ist unausweichlich, es bleibt ihm nicht erspart. Jesus sagte nicht im Einzelnen, was er erleiden würde, schon gar nicht kündigt er den Kreuzestod an. Aber er sagte, wodurch es dazu kommen würde: „Er wird von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden“ Das heißt, sie würden ihn einer Prüfung unterziehen, vor Gericht stellen und aburteilen. Die Führung des Volkes würde ihn für nutzlos, ja sogar für schädlich erklären und verstoßen. Sie würde ihn ausgestoßen aus dem Gottesvolk. Sie würden sich aber nicht mit der Verstoßung begnügen. Sie würden noch weiter gehen: „Er wird getötet werden, aber am dritten Tag wird er erweckt werden“. Wie sie ihn töten würden, schien für Jesus damals noch nicht klar zu sein, nur dass sie es bis zur Tötung treiben würden. Für Jesus war völlig klar, dass er hinterher erweckt würde. Wörtlich heißt es nicht „er wird auferstehen“ (aktiv), sondern „er wird aufgeweckt, wird aufgehoben“ (passiv). Daraus spricht seine Gewissheit, dass er von Gott bestätigt würde, emporgehoben würde, in eine neue Lebensform geholt würde. Auch dafür gilt das Muss. Es muss so kommen.

 

Jesus blieb nicht stehen bei der Schilderung seines eigenen bevorstehenden Schicksals. Er ging sofort über zu dem, was sich für seinen Schülerkreis daraus ergeben würde. „Wer mein Jünger sein will, …“ Wer sich aus eigenem dazu entschließt, wer das anstrebt, … niemand wird dazu genötigt. „… der verleugne sich selbst“ Er sage sich los von seinem EGO. Was ist damit gemeint? Der stelle sich nicht selbst in den Vordergrund, reihe sich eher hinten ein, während sich andere nach vorne drängen. Das Ego verleugnen, heißt „Ich will mit meinem EGO nichts zu tun haben.“ Es heißt nicht: Du sollst dein Selbstbewusstsein brechen, sondern du sollst dich rufen lassen zu einer Aufgabe, die du dir nicht selbst zurecht gelegt hast, sondern die von einem anderen kommt. Heutige  Gesellschaft und Lebensberater empfehlen: Sage dir selbst, wie großartig du bist.

 

…der nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Wie drastisch ist das gemeint von Jesus? „Kreuz auf sich nehmen“  Es ist nicht anzunehmen, er verlange von seinen Jüngern die Bereitschaft, wie er das Kreuz anzunehmen. Das kann nicht sein, wo Jesus doch für sich selbst das Wort Kreuz nie in den Mund genommen hat. Welches Kreuz meint er dann? Wohl kaum seinen  Hinrichtungspfahl.  Eher meint er einen Strich als Zeichen auf der Haut, er meint es als Brandmal am Körper. Das griechische Wort für Kreuz heißt STAUROS und das meint nicht zwei überkreuzte Balken, sondern einen Pfahl oder einen dicken Strich. „Wer zu meinem Schülerkreis gehören will, der lasse sich sein Präge-Mal auf die Haut geben, das nie wieder heraus zu löschen ist.“ Jesus bezog sich offenbar auf einen Spruch aus dem Propheten Ezechiel:    „Der Herr sagte: Geh mitten durch die Stadt, mitten durch Jerusalem, und schreib ein Tau auf die Stirn der Männer, denen die Gräueltaten zu Herzen gehen“. (Ez 9,4) Die Jünger Jesu sind also Menschen, die das Tau auf sich nehmen, das Christus-Erkennungszeichen. Sie übernehmen und zwar verbindlich. Sie stehen dazu, dass sie dieses Merkmal am Körper haben. Wer diese beiden Voraussetzungen erfüllt, kann Mitglied in der Nachfolge-Gemeinschaft werden: 1. Das Ego verleugnen und 2. das Erkennungszeichen tragen. Auch das letzte Buch der Bibel spielt an auf das körperliche Präge-Mal derer, die zu Jesus gehören: „Den Knechten unseres Gottes wird das Siegel auf die Stirn gedrückt“ (Off 7,3)

 

Abschließend sagte Jesus noch ein Wort, das für die einen Warnung ist, für die anderen Trost. Wer ständig darauf bedacht ist, dass er nur sein eigenes Leben verwöhnt und schützt und in Sicherheit bringt, der merkt nicht, dass sein Leben immer dünner wird und letztlich ungenützt verrinnt. Wer aber mit Leidenschaft das tut, was das Programm Jesu für die Gesellschaft ist, der sichert sein Überleben. Streckenweise mag er das Gefühl haben, dass er zu kurz kommt im Leben, wenn er ganz für das Evangelium lebt. Letztlich wird er als der Gerettete dastehen, das  verspricht Jesus. Man braucht sich nur das Leben vieler großartiger Menschen anzusehen, die sich für den Stil Jesu entschieden haben: An ihnen leuchtet auf, was ein „Geretteter“ ist, einer „in Gottes Sicherheit“, unter „seinem Schutz“.

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