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20.Okt. 2024      29.Sonntag im Jahreskreis

Die Hilfsbereiten an die Führungsspitze

Markus 10,35–45

Da traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen! Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde? Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde. Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die es bestimmt ist. Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele

Etwa im Jahr 42 n.Chr. holte Herodes Agrippa zu einem Schlag gegen das aufstrebende erst 12 Jahre junge Christentum in Jerusalem aus. Er regierte 41 – 44 n.Chr. über das ganze jüdische Land, gleich wie sein Großvater Herodes der Erste, aber mächtiger als sein Vorgänger Herodes Antipas, der nur über Galiläa herrschte, als Jesus dort wirkte.  Mit dem Hieb auf die gerade aufstrebende Jesus-Bewegung wollte er sich die Gunst der religiösen jüdischen Führung sichern, der Hohenpriester und Ältesten in Jerusalem. Von Rom hatte er die Zustimmung bekommen, über ganz Palästina König zu sein. Er war in Rom aufgewachsen  und hatte  in den Kreisen der Weltmacht verkehrt. Mit Kaiser Claudius war  er befreundet. So ließ er um Ostern zwei führende Persönlichkeiten der Jerusalemer Urgemeinde festnehmen. Das tat er, in der Meinung, er könne sich dadurch innenpolitisch die Macht sichern.  Jakobus und Petrus kamen ins Gefängnis. Mit dem Namen Jakobus gab es zwei Verantwortliche: den Apostel Jakobus, ehemaliger Fischer  und Zebedäus-Sohn, und den Leiter der Jerusalemer Urgemeinde, den Herrenbruder Jakobus.

Wahrscheinlich hatte Herodes Agrippa die beiden verwechselt und den falschen erwischt. Eigentlich wollte er wohl den Gemeindeleiter beseitigen. Paulus nennt ihn einen der drei „Säulen, die Ansehen genießen.“ Der König ließ also anstelle des Herrenbruders Jakobus den Apostel Jakobus kurzerhand mit dem Schwert hinrichten, also den Kopf abschlagen. Nachzulesen in Apg 12,1-5! Dass es ein offizielles Gerichtsurteil gegen Jakobus gegeben hätte, davon erfahren wir nicht, vermutlich war es eine Verleumdungskampagne. Herodes verstand sich darauf, Lügengerüchte zu verbreiten. So hatte er es sogar  zuwege gebracht, dass sein Verwandter und Vorgänger in Galiläa, Herodes Antipas, nach Gallien verbannt wurde, nachdem er in  Rom als Übeltäter hingestellt worden war.  Genau dieselbe  Art, wie Jakobus hingerichtet wurde, hatte schon 15 Jahre zuvor  Herodes Antipas gegen Johannes den Täufer angewendet.

Agrippa ließ auch Petrus verhaften und in das Gefängnis stecken. Die Bewachung übertrug er vier Abteilungen von Soldaten. (So viel Angst haben manche Politiker vor Menschen der Wahrheit!!) Petrus wurde befreit durch eine Lichtgestalt und musste sofort untertauchen: Die Apostelgeschichte verrät uns nicht,  wohin er verschwand, sie schreibt nur geheimnisvoll: „Er ging an einen anderen Ort.“ (Apg 12,17) Es war sicher das Ausland, vielleicht Antiochia in Syrien.

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 "Könnt ihr die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde? - Werdet ihr das aushalten, in der Brandung von ungerechten Verleumdungen zu stehen?"

Jedenfalls wurde ab dem Zeitpunkt der Boden in Jerusalem für alle Apostel zu „heiß“, um  noch länger hier wirken zu können. Es blieb ihnen nur das Flüchten in die Nachbarländer übrig. Als alle Apostel geschlossen Jerusalem verließen, nahm wahrscheinlich Johannes, der Jünger, den Jesus liebte, die Mutter Jesu als seine „neue Mutter“ nach Ephesus mit (heutige West-Türkei).  Sie dürfte zu dem Zeitpunkt 65 Jahre alt gewesen sein. Jesus hatte noch im Sterben am Kreuz seine eigene Mutter Maria dem Johannes als Mutter anvertraut. Erst 48/49 kommen mehrere Apostel zum Apostelkonvent wieder in Jerusalem zusammen. Da ist der ihnen feindselige König Agrippa bereits 4 Jahre tot.

Was hat dieser historische Kurzbericht mit dem Sonntagsevangelium zu tun? – „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?“, das hatte Jesus den Apostel Jakobus eindringlich gefragt – 12 Jahre später wurde es wahr.  Es war Jakobus, der aus dem Apostelkreis als erster den Märtyrertod erlitt.  Noch vor Jesus stehend hatten er und sein Bruder Johannes, dies ganz ohne Wenn und Aber bekräftigt:  „Wir schaffen das: den galligen Wein aus dem Kelch zu trinken und in die Bosheiten der Gegner eingetunkt zu werden.“ Schon 12 Jahre später wurde es zumindest für Jakobus bittere Wahrheit: Es war ein jähes Sterben aufgrund einer niederträchtigen Verleumdung durch den König. Wieso konnten die beiden Apostel das vorweg so sicher sagen?: „Diesen schmerzlichen Weg nehmen wir in Kauf.“

Unmittelbar bevor sie den Wunsch geäußert hatte, dass sie bei seinem Regierungsantritt „in Herrlichkeit“ zu seiner Rechten und Linken sitzen dürfen, hatte ihnen Jesus glaubhaft dargestellt, dass er einem spöttischen und grässlichen  Tod entgegen gehen würde. Sie hatten  nur sein Wort von der überwältigenden Herrlichkeit gehört, in die sein Leiden gipfeln würde. Er würde im Scheinwerferlicht stehen, unübertrefflichen Rum erlangen und großen Einfluss auf Menschen haben. Daran wollten die beiden  teilhaben. Sie waren nicht getrieben von Geltungsdrang. Paulus in den 50er Jahren war von derselben Überzeugung geleitet. Er stützte sich dabei auf die Jahrhunderte lange spirituelle Erfahrung des Judentums: „Wir verkünden, wie es in der Schrift steht, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gedrungen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.“ (1 Kor 2,9) Jesus äußerte sich nicht entsetzt über ihren hohen Wunsch, im Gegenteil, er versuchte ihrem Ansinnen sogar entgegen zu kommen. Die Lichterflut, das konnte ihnen Jesus versprechen, nicht aber die Sitzvergabe, die liege in höherer Hand und sie würde zu einem anderen Zeitpunkt entschieden.

Einige aus dem übrigen Zwölferkreis hatten das Gespräch  mitbekommen, aber offenbar  nur Teile davon. Sie begannen sich zu ärgern, die Wut stieg ihnen hoch. Zorn schaukelte sich auf. Warum? Eifersucht? Neid wegen höherer Stellung? Jesus versammelte sie um sich. Er wünschte sie herbei zu einem aufklärenden Gespräch. „Es ist euch bekannt, was bei den Machthabern läuft: Sie meinen, sie würden ihren Staat anführen, in Wirklichkeit aber herrschen sie ihre Völker nieder. Die ganz Großen unter ihnen missbrauchen ihre Amtsgewalt sogar gegen die Menschen. So IST es nicht bei euch.“ (Die Einheitsübersetzung – auch die Neue – übersetzt ungenau: „Bei euch SOLL es nicht so sein.“) Jesus sagt klar: „So IST es bei euch nicht.“ Er erklärt: „Das sind nicht die Prinzipien, nach denen euer Völker-Netzwerk aufgebaut sein wird. Wer bei euch eine höhere Stellung erringen will und sich dort halten will, der wird der Helfer sein für alle. Wer es zu einer Größe bringen will, den sollen alle kennengelernt haben als Hilfsbereiten. Wenn die Gemeindemitglieder erlebt haben, dass sie jederzeit mit seiner Hilfe rechnen können, anerkennen sie ihn als Großen. Wenn ihr den Schwachen zur Verfügung steht, dann habt ihr Größe. Wer an die oberste, an die erste Position gelangen will, soll für alle sogar der Sklave sein, das ist noch niedriger als der Bedienstete. Der Sklave ist ständig  Befehlsempfänger. Er ist Besitzstück der Gemeinde. Normalerweise wird ein Sklave käuflich erworben. Er hat  gewissenhafte Arbeit zu leisten, bekommt aber dafür keinen Lohn ausbezahlt, sondern nur Verpflegung und Quartier. So geht es einem Sklaven.“ Jetzt hätten wir gerne die Gesichter der Apostel gesehen bei so einem entschiedenen Wort. Aber DIENEN, das ist und bleibt ihr Merkmal. Es bleibt auch das Merkmal jener, die später in die Fußstapfen der Apostel treten – nicht nur in der Anfangszeit des Christentums, sondern heute erst recht wieder, wenn die Kirche zu ihren Ursprüngen zurück finden will. Paulus bestätigt diese Art des echten Apostel-Seins und grenzt sich ab gegen jene Apostel, die es nur für ihr Einkommen machen. „Sie nutzen jede Gelegenheit, sich Achtung zu verschaffen. … Diese Leute sind Lügenapostel, unehrliche Arbeiter. Sie tarnen sich als Apostel Christi. … Ich erduldete Mühsal und Plage, viele durchwachte Nächte, Hunger und Durst, häufiges Fasten, Kälte und Nacktheit. Um von allem anderen zu schweigen, dem täglichen Andrang zu mir und der Sorge für alle Gemeinden.“ (2 Kor 11,12.27f).

Um das annehmbar zu machen, führt sich Jesus selbst als Modell an – als Ansporn: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen.“ Der Menschensohn ist jene Vorzeige-Gestalt, die auf den Wolken des Himmels zu sehen sein wird. Niemand wird sich den Anblick dieser Gestalt entziehen können, nicht einmal die Gegner: Er wird das rettende Prinzip der Menschheit sein. Jesus wird „sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ Also ist gerade die dienende Art der Kaufpreis, um viele zu bekommen. Das Wort „Lösegeld“ ist in der jüdischen Frömmigkeit tief verwurzelt: Jede Erstgeburt muss abgelöst (=freigekauft) werden. Der Verfasser des Buches Exodus bekennt: „Darum opfere ich dem Herrn alle männlichen Tiere, die den Mutterschoß durchbrechen, alle Erstgeborenen meiner Söhne aber löse ich aus … denn mit starker Hand hat uns der Herr herausgeführt aus Ägypten.“ (Ex 13,15f) Hinter „Lösegeld“ steckt eine uralte religiöse Mystik (ein Denken, das nicht für jeden heutigen Menschen verständlich ist). Johannes der Täufer greift die Mystik auf, wenn er auf den Jesus hin deutet, als er an ihm vorbei geht,  und ihn als das „Lamm Gottes“ bezeichnet. Es wird geopfert, damit viele nicht mehr dem Tod verfallen sind, sondern gerettet werden, wie damals das Volk Israel in Ägypten vor dem Tod bewahrt  wurde durch das Blut des Lammes. Jesus ist überzeugt, dass der Preis, den er zahlt für sein dienendes Leben, sich lohnen wird. Er darf nach 2000 Jahren auf ein unübersehbares Heer von Geretteten zurückblicken … und es werden noch viele. Alle werden es  nicht, denn die Rettung wird den Menschen nicht aufgezwungen. Es steht jedem frei, ob er sie annimmt oder ablehnt. Die Rettung gilt den vielen, die sich darauf einlassen.

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