23.Juli 2023 16.Sonntag im Jahreskreis
Das Böse gleich ausrotten? Nein!
Matthäus 13,24-30
Jesus legte ihnen ein anderes Gleichnis vor: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Menschen schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, damit ihr nicht zusammen mit dem Unkraut den Weizen ausreißt. Lasst beides wachsen bis zur Ernte und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune!
Der Abschnitt aus dem Matthäus-Evangelium beweist diesmal wieder, wie meisterhaft Jesus es versteht zu lehren. Seine Geschichten enthalten viel Anschauliches. Trotzdem sind sie nicht oberflächlich, sie sind tiefgründig und lassen sich deuten. Wer es heraushören kann, der findet darin erklärt, nach welchen Grundprinzipien Gott in der Welt wirkt. Vordergründig erzählt Jesus schlichte und bekannte Begebenheiten aus dem Alltag, nämlich aus dem Alltag der Kleinbauern. Seine bilderreichen Lehrgeschichten knüpfen an die Erfahrungen seiner Mitbewohner an. Fast jeder in Galiläa hatte neben seinem Haupterwerb noch eine kleine Landwirtschaft. Jeder wusste, worauf man beim Aussäen, beim Wachsen des Getreides und bei der Ernte Acht geben musste. Man wusste, wie wichtig es war, beim Kauf von Saatgut auf die Qualität zu achten, damit keine Beimischungen von schädlichen Samen enthalten waren. Es kostete ein wenig mehr, aber man konnte sich darauf verlassen, dass es rein war von schlechten Samen. Hier setzt Jesus mit seiner Rede an.
Jesus unterbreitete ihnen eine weitere anschauliche Lehr-Geschichte. Der Originaltext sagt nicht: „Er erzählte“, sondern er hat es „dargeboten, unterbreitet“. Dabei sagte er: Vergleichbar ist die Herrschaft des Himmels mit einem Menschen, der Saatgetreide auf seinen Acker säte. Er verwendete dazu Saatgut von bester Qualität. Als die Menschen schliefen, da kam jemand aufs Feld – unbemerkt. Mit Schlafen ist gemeint, dass viele Menschen ein oberflächliches, seichtes Leben führten, anstatt dass sie hellwach lebten. Der Eindringling tat irgendetwas und ging wieder – unbemerkt. Wer war das? Was hatte er getan? Es war jemand, der gegen den Besitzer feindselig gesinnt war, er hasste ihn. Er säte ein Giftkorn mitten hinein in den Weizen. Es war nicht irgendein Unkraut, also nicht bloß irgendwelches wertloses Beigewächs. Es war die Giftpflanze namens Taumel-Lolch, im griechischen Originaltext heißt sie ZIZANIA.
Der Taumel-Lolch sieht anfangs dem Weizen ganz ähnlich. Erst wenn die Ähren hervorkommen, wird der Unterschied deutlich. An den "Früchten" ist er erkennbar. Früher war er eine Gefahr in der Landwirtschaft, durch die moderne Unkrautbekämpfung ist er ausgerottet oder verschollen.
Sie hat noch weitere Namen: Schwindelkorn, Tobkraut, Rauschgras, Giftstroh. Wer sich auskennt unter den Pflanzen, der weiß, dass die Pflanze nicht nur den Ertrag im Getreidefeld vermindert (als Unkraut), sondern auch gefährlich ist für den Menschen. Die Körner selbst sind zwar nicht giftig, aber sie werden von einem Pilz überzogen. Der macht dieses Falschgetreide giftig. Der Verzehr führt zu Schwindelanfällen. Daher der Name Taumel-Lolch. Er sieht anfangs beim Aufwachsen dem Weizen ähnlich, unterscheidet sich aber später deutlich davon.
Nach der Aussaat also wuchs alles zunächst unauffällig auf. Anfangs hatte beides die Form von Grashalmen. Erst als die Halme ihre Ähren ausbildeten und sozusagen die Früchte hervor kamen, erst da wurde sichtbar, was der Giftweizen war. Seine Ähren sehen aus wie Spieße. Sie überragen den Weizen, der seine Ähre hängen lässt. An der Frucht erst ist zu erkennen, welche Pflanze schädlich ist.
Die Arbeiter des Gutsbesitzers gingen zu ihm. – Jetzt erfahren wir als Leser, dass der am Anfang genannte Mensch ein Gutsbesitzer war. Er verfügte über etliche Arbeiter und sie sprachen ihn mit „Herr“ (= KYRIE) an. – Sie sagten zu ihm: „Herr, hast du nicht ausgezeichnete Qualitätssaat beim Aussäen auf deinem Acker verwendet? Woher hat das Feld nun den Schwindelweizen?“ Das Säen des Getreides hatte der Gutsherr offenbar eigenhändig gemacht, er hatte es nicht den Arbeitern überlassen. Trotzdem wussten sie von seiner Sorgfalt in der Auswahl. Da sagte er zu ihnen: „Ein feindseliger Mensch hat das getan.“ Wie konnte der "Herr" das so sicher behaupten? Offenbar wusste er über den Täter genau Bescheid. Er kannte ihn gut, er kannte auch seine Machenschaften. Erstaunlich ist aber, dass er den Übeltäter nicht namentlich aufdeckte. Er nannte ihn nur: Ein Feindseliger. Die Arbeiter sagten zu ihm: „Willst du, dass wir weggehen und es einsammeln?“ Es ist ausdrücklich von einem „Weg-Gehen“ die Rede. Sie meinten also, dass sie ihre Hauptarbeit verlassen sollten, um die Übeltat zu bekämpfen. Von einem „Ausreißen“ ist keine Rede, sondern von einem Zusammen-Sammeln der schädlichen Ergebnisse.
Der Herr sagte ein klares Nein. „Ich will das nicht. Sonst kann es geschehen, dass ihr beim Einsammeln des Schwindelweizens auch den richtigen Weizen ausreißt. Da die beiden Pflanzen so nahe beisammen aufgewachsen sind, haben sich die Wurzeln ineinander verflochten. Das Ausreißen würde zu großen Verlusten lange vor der Ernte führen. Lasst beides – Seite an Seite – nebeneinander aufwachsen bis die Ernte herankommt. Genau im Zeitpunkt der Ernte werde ich zu den Erntehelfern - das sind dann andere als diese besorgten Arbeiter - sagen: Sammelt zuerst den Schwindelweizen zusammen. Die falschen Ähren ragen nämlich dann hoch auf, etwa 70 cm hoch, während die Weizenähren ihren Kopf neigen. Das Schädliche tut sich groß hervor, während das Nützliche bescheiden bleibt. So könnt ihr die schädlichen Ähren mit der scharfen Erntesichel abschneiden. Auf den Boden fallen lassen dürft ihr sie nicht. Ihr müsst sie mit Bändern in Bündeln zusammenbinden, damit sie für die vollkommene Verbrennung bereit liegen. Sie dienen später als Brennmaterial. (Das Wort „binden“ kann auch Inhaftierung bedeuten). Die Trennung vom Weizen ist wichtig, weil der Taumellolch ja giftig ist. Würden man seine Körner zusammen mit dem Weizen mahlen und fürs Brot verwenden, kann dies zu Schwindel, Gleichgewichtsstörungen (Taumel) führen, in schlimmen Fällen sogar zum Erbrechen und zum Tod durch Atemlähmung.
Der Herr ordnete schließlich an: „Den Weizen aber führt gesammelt in meine Scheune.“ Das Originalwort heißt nicht „bringt in meine Scheune“. Jesus meint nicht nur das „Einbringen“ in seine Lagerräume, sondern auch das Aufnehmen und Zusammen-Führen zu einer großen Gemeinschaft. Dasselbe Wort steht in folgenden Sätzen: „Ihr habt mich aufgenommen.“ (Mt 25,35) Paulus verwendet das Wort: „Im Namen Jesu, ... wollen wir uns versammeln.“ (1Kor 5,4) In der Apostelgeschichte wird erzählt: „Am folgenden Sabbat versammelte sich fast die ganze Stadt, um das Wort des Herrn zu hören.“ (Apg 13,44) Somit wird hier in dem letzten Satz angedeutet, dass die Guten, die Nützlichen, die Genießbaren im Akt der Ernte zusammen geführt werden zu einer riesigen Gemeinschaft.
Wenn der Herr das Böse nicht sofort beim Aufkeimen bekämpft, dann ist das keine Zögerlichkeit und keine Kapitulation vor dem Bösen. Es ist eine weise Maßnahme. Jesus sagt an anderer Stelle: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“ (Mt 7,1) Das Richten über Menschen steht der höchsten Autorität zu.