top of page

26.Jän. 2025      3.Sonntag im Jahreskreis

Lukas wagt sich spät noch an ein Jesus-Buch

Vorwort 1,1-4    

Schon viele haben es unternommen, eine Erzählung über die Ereignisse abzufassen, die sich unter uns erfüllt haben. Dabei hielten sie sich an die Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren. Nun habe auch ich mich entschlossen, nachdem ich allem von Beginn an sorgfältig nachgegangen bin, es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben. So kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der du unterwiesen wurdest.

 

Erstes Auftreten in Galiläa: 4,14–15

Jesus kehrte, erfüllt von der Kraft des Geistes, nach Galiläa zurück. Und die Kunde von ihm verbreitete sich in der ganzen Gegend. Er lehrte in den Synagogen und wurde von allen gepriesen.

 

Die Antrittsrede in Nazaret: 4,16–21

So kam er auch nach Nazaret, wo er aufgewachsen war, und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge. Als er aufstand, um vorzulesen, reichte man ihm die Buchrolle des Propheten Jesaja. Er öffnete sie und fand die Stelle, wo geschrieben steht: Der Geist des Herrn ruht auf mir; / denn er hat mich gesalbt./ Er hat mich gesandt, / damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe;/ damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde / und den Blinden das Augenlicht; / damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. Dann schloss er die Buchrolle, gab sie dem Synagogendiener und setzte sich. Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.

Der Evangelist Lukas macht sich erst in den 90er Jahren daran, noch ein Buch über Jesus zu schreiben, obwohl es schon einige gibt  – das sind über 60 Jahre nach dessen Tod. Der Autor nimmt sich die schriftstellerische Freiheit, den geistlichen  Lehrer Jesus in einer Antrittsrede in Nazaret auftreten zu lassen. Damit weicht Lukas ab von der Mitteilung, die wir aus dem früher abgefassten Evangelium haben. Lukas hatte das Markus-Evangelium als Vorlage und die schrieb er um.  Jemand aus dem Leserkreis dieses SONNTAGSWORTES hat sich gewünscht, dass die heutige Auslegung wieder als Interview gestaltet wird, so wie am 2.Advent-Sonntag. Wenn es jemand aus dem Leserkreis auch als Predigt-Interview verwenden will,  wäre es günstig, wenn der Gesprächspartner jemand wäre, der Nazaret auch tatsächlich kennt durch eine Reise oder gar durch einen  längeren Aufenthalt. In dem Gespräch werden nämlich anfangs Fragen zum heutigen Nazaret beantwortet.

Was nimmt ein Pilger, der Nazaret besucht hat, als Erinnerung mit heim?

Nazaret ist bei weitem kein kleines Dorf mehr wie wir es aus dem Evangelium kennen. Es ist heute eine beachtlich große Stadt. Beeindruckend ist die mächtige Kirche im Zentrum der Stadt: die Verkündigungskirche. Sie ist die größte Basilika im ganzen Nahen Osten. Sie wurde erst vor knapp 50 Jahren eingeweiht. Es ist die 5.Kirche, die seit den Zeiten Jesu über das Wohnhaus seiner Jugend errichtet wurde. Einige von ihnen haben nur mehrere Jahrzehnte überdauert und wurden bald ersetzt oder zerstört.

 

Welche biblisch handfesten Spuren sind zu sehen?

Es ist die Wohngrotte der heiligen Familie. Sie sieht aus wie eine Höhle. Aber damals hatte die Grotte einen Vorbau, der aus 3 gemauerten Seiten bestand. Die Mauern sind nicht mehr da. Viele Häuser in Nazaret damals waren so an den Felsen gebaut: Die Familien nützten Felshöhlen als hinteren Teil des Hauses.

Nazaret Überblick 400k.PNG

Die mächtige Verkündigungskirche in Nazaret entspricht nicht dem winzigen Dort, in dem Jesus aufwuchs.

Kann die Archäologie etwas bestätigen, was im Evangelium erzählt wird?

Es muss ein winziges Dorf gewesen sein, man schätzt 20 – 30 Häuser. Es ist kaum anzunehmen, dass es ein eigenes Synagogengebäude gegeben hat. Heute wird zwar eine Synagogen-Kirche gezeigt, aber die stammt aus der Kreuzfahrerzeit mit gotischem Gewölbe. Eher ist anzunehmen, dass an eines der Familienhäuser ein Synagogenraum angebaut war. Heute ist Nazaret eine 80.000 Einwohnerstadt, ein Drittel davon sind Christen, die anderen Moslems und Juden. In der Mitte erhebt sich aus dem Häusermeer die alles überragende Kuppel. Über dem Stil der kühlen, nackten Beton-Konstruktion lässt sich streiten. Trotz allem verweilen immer wieder Pilger in stiller Ergriffenheit vor der Wohngrotte, sie ist Mittelpunkt der Kirche.

Jesus kam also während seines 3jährigen Wirkens, als er durch seine Lehre schon Berühmtheit erlangt hatte, auch nach Nazaret – Wie soll man sich das vorstellen?

Es ist klar, dass ihn alle aus dem Dorf gekannt haben von Jugend auf. Sie waren überrascht, dass er seinen Beruf gewechselt hatte. Sie kannten ihn als Bauhandwerker. Jetzt war er plötzlich ein spiritueller Lehrer. Man nannte ihn Rabbi.

Du hast gesagt „Bauhandwerker“. Üblicherweise heißt es, Jesus sei Zimmermann gewesen.

Ja, wir in Mitteleuropa verbinden mit Zimmermann einen, der aus Holz Häuser oder Dachstühle errichtet. Erstens gab es dort gar nicht soviel Bauholz wie bei uns, daher gab es keine Holzhäuser. Die Dächer waren flach und ohne Dachstuhl. Zweitens steht im griechischen Originaltext TEKTON. Das ist der Handwerker am Bau. Er ist der nächste nach dem ARCHI-TEKTON, der die Pläne zeichnet und den Bau von oberster Stelle her überwacht, aber der nichts händisch anpackt. Jesus hat als TEKTON alle möglichen Baumaterialien bearbeitet: Holz, Stein und Lehm. Er hat selbst zugepackt, hat aber auch eine Baupartie angeführt. Er hat mit dem Bautrupp das umgesetzt, was der Architekt und der Bauherr sich vorgestellt haben.

Woher wissen wir das? Lukas schreibt nichts davon im heutigen Evangelium. Da heißt es nur, dass er in Nazaret aufgewachsen ist.

Das vom Bauhandwerker verschweigt Lukas, aber wir können es nachlesen in den Parallelstellen, das sind die beiden anderen Evangelien Markus und Matthäus. So etwa schreibt Markus, dass die Zuhörer in Nazaret verwundert waren über ihren ehemaligen Dorfgenossen und dass sie gefragt haben: „Ist das nicht der Bauhandwerker, der Sohn der Maria?“ Markus weiß zu berichten, dass sich dieser Heimatbesuch irgendwann in der Mitte seines Wirkens zugetragen hat. Lukas reiht das Ereignis an den Anfang, um eine Antrittsrede daraus zu machen.

Was will Lukas erreichen mit dieser Umstellung?

Lukas schreibt über 60 Jahre nach dem Wirken Jesu in einer Zeitepoche, in der die Gute Nachricht vom befreienden Wirken Jesu schon über das ganze römische Imperium hinweg in Hauskreisen Zuspruch gefunden hat. In jeder Großstadt gab es schon mehrere „Jesus-Runden“, die sich dadurch auszeichnen, dass sich die Mitglieder besonders kümmerten umeinander. Lukas selbst ist ein Mitbruder in einer solchen Gemeinde. Seit er dort dazu gehört, hat sich auch sein persönliches Leben verändert.

Jesus wirkte in den Jahren 27 – 30 n.Chr. – Lukas schreibt in den 90er Jahren n.Chr. – Worin besteht die Verbindung, die Brücke zwischen den beiden Zeitabschnitten?

Das dreijährige kraftvolle Wirken Jesu hat sich fortgesetzt in seiner Nachfolge-Gemeinschaft. Somit waren seine Worte und sein Tun noch Jahrzehnte später wirksam. Was Jesus als Einzelperson getan hat, konnte sich später vervielfältigen durch die Apostel und wieder später durch die Gemeinden. Lukas schreibt in der Einleitung zu seinem Buch, dass sich die Ereignisse mit Jesus jetzt in den 90er Jahren „erfüllt“ haben. Das Besondere am Schreibstil des Lukas ist, dass er einerseits sehr anschaulich schreibt, um gewissermaßen den Leser auf den Schauplatz zu versetzen. Andererseits  nimmt er immer wieder Bezug auf seine eigene Zeitumstände. Er macht es wie ein guter Theater-Regisseur, der in seine Stücke immer wieder aktuelle Anspielung auf seine eigenen Zeitumstände einbaut.

Können wir dazu gleich ein Beispiel aus dem Lukas-Evangelium hören?

Ja, die Antrittsrede Jesu in der Synagoge von Nazaret: Da lässt uns Lukas gewissermaßen zusehen, wie Jesus würdig aufsteht, um vorzulesen. Der Synagogen-Vorsteher reicht Jesus feierlich eine Schriftrolle. Es ist die Schrift des Propheten Jesaja. Jesus öffnet sie, das heißt er rollt sie auf. Dann lässt Lukas  den neu auftretenden Rabbi Jesus daraus vorlesen. Jesus liest wohl mit Bedacht langsam: „Der Geist des Herrn hat mich gesalbt. … damit ich Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht, damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze.“ Beim Lesen des Lukas-Evangeliums SEHEN wir Jesus da vorne stehen und wir HÖREN Jesus laut vorlesen. Das ist der anschauliche Stil des Lukas.

Das stimmt. Somit könnte Lukas heute ein Filme-Macher für eine Jesus-Dokumentation sein. Was gelingt dem Lukas darüber hinaus mit seinem Buch?

Gleichzeitig spüren wir, wie Lukas aus seiner Gemeinde-Erfahrung spricht: Da gibt es Mitglieder, die erst vor  kurzem beigetreten sind: In ihrem Vorleben  waren sie gefangen vom Lebensstil der Welt: von Vergnügen, von Übersättigung, von Leistungsdruck. Sie waren festgenagelt, waren unfrei. Sie haben gelitten unter Zwängen. Jetzt – seit sie zur Christus-Gemeinschaft gehören, sind sie frei. Vorher sind sie blind durch das Leben geirrt,  es war trüb und düster rundherum. Christus hat ihr Leben aufgehellt, er hat ihnen das Augenlicht, das Sehen zurückgegeben. Vorher waren sie zermürbt und depressiv. Jetzt können sie durchatmen und können aufrechte Menschen sein. Was Jesus in der Synagoge vorliest, das sagt er gleichzeitig den Mitgliedern der Jesus-Gruppen zur Zeit des Lukas und er sagt es auch  heute uns: „Gott hat mich gesandt, ... damit ich den Gefangenen Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht.“ Auf diese Weise aktualisiert Lukas für die Hauskreise aus seiner Zeit und darüber hinaus. Das, was Jesus getan und gelehrt hat, wirkt nach Jahrzehnten noch weiter, ja es hat sich „erfüllt“.

 

Das klingt ja sehr aktuell, die Zwänge plagen auch unsere heutige Welt. Somit sollte der Zuspruch, den Lukas seinen Gemeinden gibt, bis in unsere Tage wirken – bis ins Jahr 2025.

Genau, das will Lukas mit seinem Buch erreichen. Wahrscheinlich hätte er damals gestaunt, dass sein schriftstellerisches Werk 2000 Jahre lang eine Quelle der Ermutigung bleibt.

Lukas hat es also darauf angelegt, dass seine Schilderungen bis in die nächsten Jahrhunderte Wirkung haben? Wie können wir das wirklich nachweisen?

Das kann man feststellen an dem Wort HEUTE. Die  Antrittsrede beginnt mit dem Satz: „HEUTE hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“ Das Wort HEUTE ist ein Lieblingswort des Lukas. Er verwendet es 11 Mal, während es bei Markus nur 1 Mal vorkommt. Er setzt es an entscheidenden Stellen ein. Angefangen bei den Hirten von Betlehem. Dort sagt ihnen der Bote, der von Licht umstrahlt wurde: „HEUTE ist euch der Retter geboren.“ Das letzte HEUTE sagt Jesus dem Mitgekreuzigten. Nur im Lukas-Evangelium erfahren wir, dass der Verbrecher an seiner rechten Seite bittet: „Denk an mich …!“ Jener bekommt von Jesus die Zusage: „HEUTE noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ Lukas ist überzeugt, dass dieses HEUTE auch 2000 Jahre später noch gilt: Auch HEUTE etwa nach diesem Gottesdienst wird der eine oder die andere befreit heimgehen, auch wenn er sich die ganze Woche gefangen gefühlt hat, auch wenn seine Augen verdunkelt waren, auch wenn er niedergeschlagen war. Das WORT hat Kraft und wirkt befreiend. Das haben schon viele am eigenen Leib oder in der eigenen Seele erfahren und viele werden es noch erfahren, die sich mit dem WORT befassen.

 

Wenn wir nun Lukas fragen würden, wie er dazu gekommen ist, 60 Jahre nach den Ereignissen sich noch an ein Buch über Jesus heran zu wagen, was würde er sagen?

Auf diese Frage geht Lukas  im Vorwort zu seinem Buch ein: Er sagt, er sei zu dem Entschluss gekommen, eine vollständige und gut lesbare Abfolge der Ereignisse zu verfassen. Es schien ihm der Zeitpunkt reif zu sein für so ein Werk. Einer der Anlässe zum Schreiben war, dass bei den Jesus-Gemeinden immer mehr wohlhabende und gebildete Persönlichkeiten beitraten. Diese begnügten sich nicht mit der einfachen Lehre, wie sie für die weniger gebildeten Mitglieder ausreichte. Die neu Eingetretenen aus der Oberschicht wollten mehr wissen. Sie wollten sich überzeugen. Da gab es einen hochgestellten, wohlhabenden Mann, der offenbar Lukas aufforderte zu dem literarischen Werk. Der Mann scheint sogar bereit gewesen zu sein, die Kosten für die Herausgabe zu übernehmen. Lukas nennt ihn „edler Theophilos“. Der Name heißt soviel wie „Gottesfreund“. Das Buch sollte viel Zusätzliches enthalten, was die bisherigen Schriften über Jesus vermissen ließen.

Gab es also vor Lukas bereits mehrere Jesus-Darstellungen?

Ja, wir kennen die Werke sogar: Zum einen war es das Markus-Evangelium, das den Hauskreisen bereits seit mehr als 20 Jahren vorher im ganzen römischen Reich zur Verfügung stand. Zum anderen gab es eine Redesammlung Jesu, in der seine Lehr-Erzählungen, seine Gleichnisse hintereinander aufgereiht waren. Beide Werke waren in einem recht einfachen Griechisch abgefasst und es fehlte beiden etwas, das für griechische anspruchsvolle Biographien wichtig war: Die Geburt des Helden und die näheren Umstände bei der Geburt. Auch die Folgen seines Lebens über seinen Tod hinaus stellte Lukas ausführlicher dar, also die Begegnungen mit dem Auferstandenen.

 

Jetzt verstehe ich: Deshalb stammt die Weihnachts-Geschichte von Lukas. Aber woher wusste er davon?

Das Wissen muss zurückgehen auf das, was Maria, die Mutter Jesu in Erinnerung hatte: „Sie bewahrte all dies in ihrem Herzen“, schreibt Lukas zwei Mal (Lk 2,19 und 51) Vielleicht hatte Lukas noch die besondere Gunst, dass er diese wertvolle Frau in seinen jungen Jahren persönlich kennen lernen durfte. Das kann nicht in Jerusalem gewesen sein, denn Lukas kam erstmals etwa 56 n.Chr. dort hin. Schon 42 n.Chr. waren alle Apostel und die Mutter Jesu gezwungen, Jerusalem fluchtartig zu verlassen. Sie ist gemeinsam mit Johannes, dem Jünger, mit dem Jesus ein besonderes Naheverhältnis hatte, nach Ephesus gezogen. Dort soll Maria ihre letzten Lebensjahre verbracht haben. Dort könnte sie Lukas als junger Mann noch persönlich kennengelernt haben und er könnte sich später insgeheim gefragt haben: „Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“

Wie sieht es aus mit dem Leben Jesu über seinen Tod hinaus – also mit den Folgewirkungen?

Außer der Weihnachts-Geschichte hat Lukas auch die Emmaus-Jünger als einziger beschrieben: Diese beiden Jesus-Anhänger hatten am Weg von Jerusalem hinaus in ihr Dorf eine eindrucksvolle Begegnung mit dem Jesus, dessen Leben Gott bestätigt und erweckt hatte: „Brannte nicht unser Herz, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift eröffnete? ... Und sie erkannten ihn, als er das Brot brach.“ Wieder ist der anschauliche Stil des Lukas erkennbar und sein Bemühen, es so zu schreiben, dass sich Gemeinde-Mitglieder Jahrzehnte später angesprochen fühlen: Christen erleben es bis heute, dass ihr Herz zu brennen beginnt, wenn ihnen die Schrift erschlossen wird und sie machen die Erfahrung, dass Jesus im Brot zu erkennen ist, das ihnen Jesus im Gottesdienst bricht – das Brot, das sie auffordert, Geschwister zu werden, die auch im Alltag miteinander das Lebensnotwendige teilen.

Danke dir, für deine Eindrücke von Nazaret und für die Deutung des heutigen Evangeliums.

bottom of page