27. Dez 2020 Fest der Heiligen Familie
Als Erwachsener Bilder aus der eigenen Kindheit deuten
Lk 2,22–40
Es wird uns geschildert, dass die Familie Jesu die religiöse Tradition gewissenhaft einhält. Seltsam, dass dies gerade jener Evangelist überliefert, der keine jüdischen Wurzeln hat. Lukas ist einer der dem Judentum religiös fernsteht und gerade er lässt seine Leser viel wissen über diese Religion. Er scheint Bewunderung zu hegen für das „Gesetz des Herrn“ – allein in diesem Abschnitt nennt er es fünfmal. Genauso schätzt er den Tempel und die dortigen Rituale, mehr als die anderen Evangelisten, die der jüdischen Tradition näher standen. Lukas hat schreibt sein Evangelium in den 90er Jahren und hat immer noch Hochachtung vor dem Gotteshaus der Juden, dem Tempel obwohl der schon 25 Jahre lang in Trümmern liegt. Römische Truppen haben das Heiligtum in Jerusalem am Ende des jüdischen Krieges im Jahr 70 n.Chr. völlig vernichtet.
Lukas lässt seine Leser wissen, dass für Maria als jüdische Mutter ein Reinigungsritus vorgeschrieben war (40 Tage nach der Entbindung). Das galt für sie als Frau, die entbunden hat. Für das erstgeborene Kind, sofern es männlich war, galt, dass er für den Herrn abgesondert und bereit gestellt werden sollte (nicht geopfert, wie noch Abraham gemeint hat) . Die Eltern bekamen den Erstgeborenen von Gott zurück, indem sie für ihn im Tempel eine Opfergabe darbrachten. Lukas, der aus der griechisch-römischen Welt stammt, scheint davon angetan zu sein. Für jüdische Gläubige hingegen war es Pflicht oder Gewohnheit, wie Hunderte andere religiöse Vorschriften auch. Das Eigentliche geschieht, so wie Lukas es darstellt, nicht im Ritus selbst, sondern im „Rahmenprogramm“ – nicht durch den religiösen Würdenträger, nicht durch die Familienangehörigen oder Paten, sondern durch Personen, die unerwartet zu der Feier dazu stoßen.
Was spricht uns aus dieser Erzählung an?
· Erfreulich, dass trotz festgelegtem Ritus etwas Unvorhergesehenes möglich wird: „Siehe!“ (=Da schau her!) – Ein Mann namens Simeon wurde vom Geist in den Tempel geführt – gerade zu der Stunde, als Maria und Josef in religiösem Gehorsam den Ritus vollzogen.
· Simeon ist gewöhnlicher Laie und verschafft sich im Gotteshaus ein Wort. Er spricht beeindruckender als der beamtete Priester, von dem nichts berichtet wird. Er verkündet etwas, das ihm der Hauch Gottes (=Geist) offenbart (!!!) hat. „Der Mann war gerecht (=rechtschaffen, redlich) und fromm (=ganz auf Gottes Fürsorge vertrauend)“ – Er ist kein diensthabender Priester, kein Lehrer, kein Prophet. Aber er tut das, was denen zustünde, damit ihr Ritus nicht wie Routine erscheint.
Er drückt zuerst seine übergroße Freude aus: „Meine Augen haben das Heil gesehen.“ Das ergänzt er dann doch durch Vorhersagen über das Kind, die sowohl hoffnungsvoll als auch beängstigend sind. Sie gipfeln darin, dass „ein Schwert durch die Seele der Mutter dringen wird“ – (Beachte: „durch die Seele!!!“ und nicht durch ihren Brustkorb, wie es religiöse Künstler darstellten und nicht erst, wenn der Leichnam auf ihren Knien liegt, sondern während seines ganzen Wirkens immer wieder.)
Im Mittelalter ist die Marienverehrung zur Blüte gelangt. Die stehende Mater Dolorosa bezog sich direkt auf das aus Gedicht Stabat mater. (‚Es stand die Mutter schmerz-erfüllt 13. Jahrhundert). Die sitzende Schmerzensmutter ist jünger.
· Der alte Mann segnete die Eltern. Wie wertvoll doch so wohlwollende, segnende Gedanken, Worte und Gesten sind – gerade für Menschen, die eine Bürde zu tragen haben im Leben. Lukas zeigt uns segnende Gesinnung und Zeichen unter ganz normalen Menschen!
· Dann tritt eine Frau als Prophetin auf. Sie war über Jahrzehnte Witwe, also „Notstandsbezieherin“. Ihre Entbehrungen hat sie Gott zu Füßen gelegt (beten und fasten) und taucht im richtigen Augenblick vor der Familie auf mit ihrem Jubelruf. „Sie sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.“ Das „erfüllt Sein vom Heiligen Geist“ gesteht ihr Lukas nicht zu, während er es von dem Mann Simeon dreimal betont.
· Die Eltern sind irgendwie sprachlos über diese Zwischenfälle. Aber sie legen das Gehörte und Gesehene wie in einem „Album“ an – zwar nicht als Fotos, sondern als Worte. Es bleibt ihnen in unauslöschliche Erinnerungen. „Sein Vater und seine Mutter staunten über die Worte, die über Jesus gesagt wurden.“ Sie werden es dem Sohn im reifen Alter erzählt haben und noch später muss es die Mutter in vertraulichen Gesprächen denen geschildert haben, die es bezeugt und weiter überliefert haben. So muss es bis zu Lukas gelangt sein, der es uns als einziger schriftlich festgehalten hat.
Zum Schluss könnten wir uns fragen: Was haben unsere Eltern über unsere ersten Lebensmonate gespeichert und uns erzählt? Haben wir es uns sagen lassen und es in der Tiefe erfasst? Was davon prägt uns heute als Erwachsene noch?
Was hier Lukas schreibt, sind nicht bloß biographische Einzelheiten bei der Geburt Jesu. Eigentlich sollten die Texte als Nachspann zu lesen sein. Erst wenn wir das öffentliche Leben Jesu studiert und kennengelernt haben und uns sogar davon erfassen haben lassen, wird hinterher sich auch für uns bestätigen: „Dieser Mann ist dazu bestimmt, dass im Volk Gottes viele zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden.“ Wer sich ihm aussetzt – auch heute noch – bei dem wird vieles umgestoßen und vieles neu aufgebaut.