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31.März 2024      Oster-Sonntag

Nicht das leere Grab  beweist die Auferstehung, sondern die Begegnungen.

Johannes 20,1-9

Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben.

Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus und kamen zum Grab; sie liefen beide zusammen, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als Erster ans Grab. Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen ging jedoch nicht hinein.

Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen  und das Schweißtuch, das auf dem Haupt Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle.

Da ging auch der andere Jünger, der als Erster an das Grab gekommen war, hinein; er sah und glaubte. Denn sie hatten noch nicht die Schrift verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse.  Dann kehrten die Jünger wieder nach Hause zurück.

„Es muss ein riesiger Schreck gewesen sein, als Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab kam und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. ... Ratlosigkeit über das leere Grab, die ist auch in unserer Zeit noch verständlich. Beweist das leere Grab, dass Jesus auferstanden ist? Sicher nicht! Denn Jesu Leichnam könnte ja auch entwendet worden sein, wie Maria von Magdala anfangs befürchtete.“ So deutete Christoph Kardinal Schönborn 2019 das Osterevangelium auf der Homepage der Erzdiözese Wien.

Wer begreifen will, was für die ersten Begleiter Jesu die Oster-Erfahrung war, sollte sich verabschieden von tief verankerten Prägungen durch kirchliche Tradition und sollte zurückfragen zu den Anfängen. Erstes Missverständnis:  Die Jünger hätten an die Auferstehung deshalb geglaubt, weil sie den Grabstollen leer vorgefunden haben, in dem der Leichnam Jesu 36 Stunden vorher bestattet worden war. Zweites Missverständnis: Jesus sei als triumphierender Held – womöglich mit wehender Fahne über dem Grab-Felsen  – dagestanden, um als der Auferstandene gefeiert zu werden, so wie es uns die Kunst in zahllosen Bildern darstellt. In Wirklichkeit war es immer eine Begegnung zwischen langjährigen Schülern und ihrem ehemaligen Meister. Es war ein Austausch zwischen ihm und ihnen nach seinem Tod, kein heldenhaftes Dastehen des Auferstandenen und keine Bewunderung ihrerseits. Drittes Missverständnis: Das Wort „Erscheinung des Auferstandenen“ erweckt den Eindruck, als sei er blass wie ein Geist oder wie ein Bild im Traum aufgetaucht, eben erschienen. Die ganz ursprünglichen Texte sagen es kraftvoll: „Er wurde gesehen“. Die Zeugen sahen ihn deutlich. Wer ihn sehen durfte, davon sind uns die Namen genannt. Er zeigte sich und sprach klare Worte. Nicht dass Jesus auferstanden ist, wird als "Faktum“ geschildert, sondern dass etliche namentlich bekannte Männer und Frauen Begegnungen mit ihm über seinen Tod hinaus hatten und dass sie dies bezeugten. Dieses Zeugnis ist erwiesen. Und aus ihren Begegnungs-Erlebnissen heraus wissen wir, dass Jesus erweckt wurde.

Grab mit Rollstein web.jpg

So können wir uns den Grabstollen mit Rollstein vorstellen. Viele ähnliche wurden in Israel gefunden.

Von welcher Art diese Erfahrungen waren und wie sie zustande kamen, das lässt sich gut nachverfolgen. Die Berichtlage ist überzeugend. Wir wollen nun der Darstellung aus dem Johannes-Evangelium sorgfältig auf die Spur kommen. „Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab.“ War sie tatsächlich allein unterwegs? Das Markus-Evangelium lässt uns wissen, dass zwei weitere Frauen dabei waren: Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome. Lassen wir es zunächst offen, ob es eine oder drei waren. Ein weiterer Unterschied zu Markus fällt auf. Da heißt es: „Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab, als eben die Sonne aufging.“ Mit dem „dunkel“ im Johannes-Evangelium muss nicht finstere Nacht gemeint sein, sondern es lässt sich als „Dämmerlicht“ übersetzen. Wer dieses Evangelium kennt, weiß wie oft es mit Finsternis und Licht argumentiert, so etwa: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umher gehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12) Ganz deutlich wird es mit Judas beim Abendmahl: „Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, ging er sofort hinaus. Es war aber Nacht.“ (Joh 13,30) Es könnte also sein, dass es Johannes tiefgründig meint: Noch herrschte Düsterkeit bei Maria Magdalena. „Sie sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war.“ Im Unterschied dazu heißt es bei Markus: Die drei Frauen „sahen, dass der Stein schon weggewälzt war; er war sehr groß.“ Das deutet auf einen Rollstein hin, eine schwere Steinscheibe. Das griechische Wort KYLEO heißt „rollen“, „wälzen“. Bei Johannes heißt es wörtlich: Der Stein war "enthoben", heraus gehoben (aus der Vertiefung) – das heißt, der Verschluss-Stein könnte mehr würfelförmig gewesen sein. Die  Archäologen haben weit über tausend solche Grabstollen rund um Jerusalem bis hinauf nach Galiläa entdeckt. Sie waren in jenem Jahrhundert üblich, denn damit konnte man mehr Tote bestatten. Nach einem Jahr wurden die Gebeine in einem platzsparenden Steinbehälter zusammen gesammelt und der Stollen war dann wieder frei für eine neuerliche Bestattung. Ein Archäologe hat 900 Gräber auf den Verschluss-Stein hin untersucht und fand nur 4 mit Rollstein, die anderen waren mehr würfelförmig. Diese rund behauenen waren von sehr reichen Familien.

Maria Magdalena war so betroffen von dem offenen Grabstollen, dass sie „schnell zu Simon Petrus lief und zu dem anderen Jünger, den Jesus liebte“. Im Originaltext kommt das Wort „schnell“ nicht vor, aber statt „laufen“ steht genau übersetzt „rennen“ dort. Biblische Texte unterscheiden zwischen den beiden Begriffen. So verwendet Paulus das Wort „rennen“ in Verbindung mit der Rennbahn: „Wisst ihr nicht, dass die, welche im Stadion rennen, zwar alle rennen, aber einer den Preis empfängt? Rennt so, dass ihr ihn erlangt!“ (1Kor 9,24) Das Rennen verrät die Unruhe der Maria. Sie wollte die Erstverantwortlichen schnellstens verständigen. Wieder finden wir einen Unterschied zur Markus-Darstellung. „Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon; denn sie fürchteten sich.“ Vielleicht war es tatsächlich so, dass Maria Magdalena die einzige von den drei Frauen war, die sich nach dem ersten Schock aufgerafft hat, um die beiden bedeutenden Männer aufzusuchen, nämlich Simon Petrus und Johannes.  Sie sagte zu ihnen: „Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben.“ Warum berichtet sie nicht das eine, was sie gesehen hat, nämlich dass der Stein enthoben war? Offenbar war sie auch drinnen in dem Grabstollen, wovon oben nicht die Rede war. Markus hingegen lässt es uns so wissen. „Sie gingen in das Grab hinein und sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen.“ Laut Johannes-Evangelium verrät nun Maria Magdalena auch, dass sie doch nicht allein war: „WIR  wissen nicht, wo sie ihn gelegt haben.“ Das „Wir“ weist darauf hin, dass Markus Recht hat: Sie waren zu dritt. Woher nimmt sie die feste Überzeugung: „Sie haben den Herrn weggenommen“? Wörtlich übersetzt heißt es: „Sie haben den Herrn gehoben“ Gemeint ist das Heraus-Heben des Leichnams aus einer Versenkung. Die Steinbank im Stollen, auf welcher der Leichnam Jesu bestattet war, hatte tatsächlich eine körpergroße Mulde, sie war also nicht flach. Das hatten die Restaurateure der Grabeskirche im Jahr 2016 sogar festgestellt. Wir erkennen daraus, wie der Text der Evangelien Feinheiten enthalten, die genau den Tatsachen entsprechen.

Simon Petrus und der andere Jünger taten den Bericht der Maria nicht als Geschwätz ab, aber sie wollten sich selber überzeugen. Sie liefen hinaus aus der Stadt (genau übersetzt: Sie rannten!) und der jüngere und offenbar sportlichere war zuerst dort. Er beugte sich hinein in den Grabstollen und sah die Leinen-Bahnen liegen. Dem als zweiten eintreffenden Simon Petrus ließ er den Vortritt, um in den Stollen hinein zu gehen. Das war eine äußerst seltsame Entdeckung. Die werden sie nicht schweigend betrachtet haben, sondern sich darüber ausgetauscht haben. Gesprächsthema waren also die Leinenbahnen und dann das sogenannte Schweißtuch. Das  muss jener  Leinenstreifen gewesen sein, mit dem einem Verstorbenen das Kinn an den Kopf gebunden wurde – so vorgeschrieben in der Mischna. Der verschwundene Leichnam war scheinbar für sie kein Gesprächsthema – vielleicht nur ein Schock. Während Maria Magdalena nur über dieses eine Thema spricht: „Sie haben den Herrn weggehoben“, machten sie sich Gedanken über die Leinenbahn, womit der Leichnam in voller Länge eingeschlagen war. Zunächst ist es für die Männer ein sicheres Indiz, dass es kein Grabraub war, denn das alles sah nach Ordnung aus. Vielleicht klingt aus dem Text mehr durch, nämlich ein verborgenes Wissen um dieses Leinen. Vielleicht war es jenes Leinen, auf dem später der blasse Körper-Abdruck und das Gesicht Jesu zu erkennen waren. In der dunklen Grabkammer werden die beiden Männer das zarte Bild  noch nicht bemerkt haben. Aber später wird das „Abbild“ zum Vorschein gekommen sein und das Johannes-Evangelium hat das Wissen darum aufbewahrt. Es handelt sich um das später als Turiner Leichentuch bekannte Abbild.

„Da ging auch der andere Jünger, der als Erster an das Grab gekommen war, hinein; er sah und glaubte. Denn sie hatten noch nicht die Schrift verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse.“ Diese beiden Sätze scheinen sich zu widersprechen. Er „glaubte“ und sie hatten „noch nicht verstanden“. Dieser andere Jünger ist jener, der mit Jesus die meiste innere Übereinstimmung hatte. Zwischen ihm und Jesus bestand eine Seelenverwandtschaft wie zu keinem sonst. Was er und Petrus in der Grabkammer sahen, müsste eigentlich höchste Verwirrung stiften. Dennoch vertraute dieser Jünger, den Jesus liebte. Er verließ sich darauf, dass sich der Sinn von allem noch herausstellen würde. Und so war es auch: Jetzt nach dem Tod Jesu und seinem Hinaufgehen lasen sie die heiligen Schriften gewissenhafter und mit einem ganz neuen Verständnis. Vieles, was Jesus gelehrt hatte, sahen sie im Nachhinein unter dem Licht der Schriften. Erst nachdem Jesus im Tod von ihnen gegangen war, gingen ihnen die Augen für das Wesentliche auf.

Die Überzeugung, dass all das um Jesus schon verschlüsselt in den biblischen Schriften enthalten war, klingt schon in einem ganz frühen Text des neuen Testaments an. Paulus schreibt um 55 n.Chr. den Gemeinden von Korinth:   „Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift“ Paulus erinnert sie, dass er ihnen das genau in diesem Wortlaut schon früher verkündet habe. Paulus setzt fort: „Jesus zeigte sich dem Kephas, dann den Zwölf“ (1 Kor 15,5) Nun wollen wir diese Überlieferung aus dem Korinther-Brief anlegen an die soeben studierte Johannes-Stelle. So lesen wir  diese gleich weiter: „Dann kehrten die Jünger wieder nach Hause zurück ... Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!“ Damit lässt sich erschließen: Nach dem morgendlichen Grabbesuch und vor dem abendlichen Beisammensein des Jünger-Kreises – irgendwann dazwischen – muss sich Jesus dem Petrus allein und ganz persönlich gezeigt haben. Der Grundton dieser Begegnung muss Vergebung gewesen sein, denn die Verleugnung mit dem Hahnenschrei war noch ganz frisch, sie lag nur drei Tage zurück. Von dieser Petrus-Begegnung weiß keines der Evangelien zu berichten. Jedoch die sehr frühe Formel der ersten Christen in 1 Kor 15 nennt Petrus als ersten, dem sich der Auferstandene gezeigt hat – also einen Mann. Die weiteren Personen, denen sich der erhöhte Christus zeigt, sind in dieser Glaubensformel auch Männer.

 

Das Johannes-Evangelium weiß es anders: Maria Magdalena war die erste, die in der Lage war, dem Auferstandenen zu begegnen. Diese Tatsache wurde in der Kirchengeschichte über Jahrhunderte zurück gedrängt und wird erst in unserer Zeit wieder gewürdigt. Auf ausdrücklichen Wunsch von Papst Franziskus hat der Vatikan die Rolle von Maria Magdalena aufgewertet. Sie wurde im Juni 2016 liturgisch den Aposteln gleichgestellt. Der bisherige „Gedenktag“ wurde in der katholischen Kirche in ein „Fest“ umgewandelt. Über diese Maßnahme hinaus ist zu hoffen, dass sich mehr Verantwortliche künftig als „Apostel“ verstehen, weil sie sagen können „Ich habe Jesus unseren Herrn gesehen“. Die Gemeinden brauchen Berufene an der Spitze, die den brennenden Wunsch verspüren, den Herrn zu sehen. Sie sind laufend bemüht, seine Persönlichkeit und seine Art zu studieren. Sie hören genau hin, was er sagt. Sie schauen ihm über die Schulter, was er genau tut. Diese heutigen Apostel – Männer wie Frauen – werden den Kirchen wieder die Gestalt der Anfangszeit verleihen. Durch sie werden die Gemeinden wieder das, was sie einmal waren.

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