22.Okt. 2023 29.Sonntag im Jahreskreis
Steuern zahlen oder verweigern?
Mt 22,13–17
Damals kamen die Pharisäer zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen. Sie veranlassten ihre Jünger, zusammen mit den Anhängern des Herodes zu ihm zu gehen und zu sagen: Meister, wir wissen, dass du die Wahrheit sagst und wahrhaftig den Weg Gottes lehrst und auf niemanden Rücksicht nimmst, denn du siehst nicht auf die Person. Sag uns also: Was meinst du? Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht? Jesus aber erkannte ihre böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler, warum versucht ihr mich? Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denar hin. Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie antworteten ihm: Des Kaisers. Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört! Als sie das hörten, staunten sie, ließen ihn stehen und gingen weg.
Die Frage hieß nicht: Steuern überhaupt zahlen, sondern Steuern nach Rom zahlen. Die Tempelsteuer nach Jerusalem war selbstverständlich. Aktuell wurde die Frage erstmals im Jahr 6 n.Chr. bei der Übernahme der Provinz Judäa ins römische Reich. Seither gab es in Israel immer wieder den Aufschrei gegen die ausländische Besatzungsmacht Rom. Befreier traten auf und scharten Widerstandskämpfer um sich. Sie versprachen, das Joch der Fremdherrschaft abzuschütteln, die Geldflüsse ins Ausland zu stoppen und das Volk von der Steuerlast zu befreien.
So trat ein gewisser Judas der Galiläer als selbst ernannter Messias auf und gewann rasch Zulauf in der unzufriedenen Bevölkerung. Anlass zum Aufruhr war, dass die Südhälfte des Landes , nämlich Judäa und nicht Galiläa im Jahr 6 n.Chr unter römische Verwaltung gestellt wurde. Betrieben hatte das der jüdische Hohe Rat selbst, weil der Herodes-Sohn Archelaus – einer von den drei Erben - untragbar geworden war. Die jüdischen Adeligen sagten sich: Lieber eine gerechte römische Führung als diesen Tyrannen noch länger zu ertragen. So wurde die Provinz Judäa samt seiner Hauptstadt Jerusalem und die Provinzen Samaria und Idumäa unter römisches Protektorat gestellt. Die erste Maßnahme Roms war eine Volkszählung, ein „Census“, wie er in der römischen Fachsprache hieß. Galiläa, die Heimatprovinz Jesu war nicht betroffen davon. Die Römer führten die Schätzung nur in der neu errichteten Provinz Judäa im Jahr 6 n.Chr. durch, um Grundlagen für die genaue Steuerbemessung zu gewinnen. Der Evangelist Lukas erlaubte sich die schriftstellerische Freiheit, die Volkszählung mit der Geburt Jesu in Verbindung zu bringen, was eine zeitliche Ungenauigkeit von 13 Jahren bedeutete: „Es geschah in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen“ (Lk 2,1 ). Besonders in der Bezirkshauptstadt Sepphoris war es Judas dem Galiläer gelungen, einen Aufstand anzuzetteln. Kurzerhand schlug der römische Feldherr Varus mit seinen Truppen die Rebellion nieder und ließ die Stadt zerstören. Herodes Antipas, der Landesfürst von Galiläa baute sie neu auf.
Das römische Theater von Sepphoris ist in moderner Zeit restauriert worden. Errichtet wurde es von Herodes Antipas, dem Landesfürsten von Galiläa. Vielleicht war Jesus beim Aufbau beschäftigt, als er noch seinen Zivilberuf als Bauhandwerker ausübte.
Wahrscheinlich war Jesus als Jugendlicher Zeuge der Verwüstung und war dann als junger, tüchtiger Bauhandwerker beim Wiederaufbau der Stadt beschäftigt. Das hieß für ihn morgens und abends einen 8 km langen Fußmarsch von dem winzigen Dorf Nazaret zur Baustelle in der Stadt Sepphoris. Schon damals wird ihm die Frage nach der Steuerverweigerung durch den Kopf gegangen sein. Er wird sich überlegt haben, was denn die Herrschaft Gottes mit Steuereintreibung zu tun hätte. Wer beides verknüpfte, vermischte spirituelle Entwicklungen mit administrativen, politischen Plänen. Der Mitstreiter jenes Judas war ein strengreligiöser Jude, er gehörte zu den Reinen, den Abgesonderten, den Pharisäern. Sein Name war Zadok und er vertrat die Grundlinie: „ Der Allmächtige allein ist Herr und König. Nur Gott darf über uns herrschen.“ Von daher durfte das Abbild des Kaisers keinesfalls in der Heiligen Stadt aufgestellt werden, schon gar nicht im Tempel, auch wenn es auf noch so vielen Ehrenplätzen des römischen Reiches Platz fand. Ebenso wenig war es zulässig, dass ein gläubiger Jude dem Kaiser Steuern zahlte. Judas der Galiläer führte einen Guerilla-Krieg gegen die Römer und jüdische Großgrundbesitzer und er verübte Anschläge. Schließlich kam er selber um und seine Anhänger zerstreuten sich. Siehe Apg 5,37. Aber sein Aufruf „Keine Steuern an den Kaiser“ sollte nie mehr verhallen.
Während Jesus im April 30 seine letzten klaren Lehrveranstaltungen am Tempelgelände hielt, ohne sich beirren zu lassen, griff die religiös-jüdische Führung nach allen erdenklichen Mitteln, um ihn zu Fall zu bringen. So schickten sie ihm Leute aus den verschiedensten Gruppen an den Hals. So sollten sich die Strenggläubigen, genannt Pharisäer, mit Leuten aus den -Regierungskreisen des Herodes zusammentun, um auf Jesus „Jagd zu machen“ (so die wörtliche Übersetzung!) Worte aus seinem eigenen Mund sollten dazu dienen, ihm einen Strick zu drehen. Politische Äußerungen sollten ihm zum Verhängnis werden. Sie wollten ihn in einer Rede fangen. So traten sie an ihn heran und redeten ihn ehrerbietig mit „Meister“ an und sagten: „Wir wissen, dass du wahrhaftig bist und dich nicht kümmerst um die Meinung anderer. Ein Mensch kann eine noch so hohe Stellung innehaben, das spielt bei dir keine Rolle. Stattdessen lehrst du den Weg Gottes nach der Wahrheit.“ Diese schmeichelnde Rede enthielt schon Entstellungen: Jesus lehrte nicht den „Weg Gottes“, sondern die „Königsherrschaft Gottes“ Das hochbeladene Wort „Wahrheit“, von dem sie hier redeten, nahm Jesus kaum in den Mund. Somit war ihre Huldigung nur scheinhalber und eine Verdrehung. Aber er schwieg dazu. Dann setzten sie mit einer Frage fort: „Ist es erlaubt, dem Kaiser den Zensus, also die Steuern, abzuliefern oder nicht? Sollen wir sie einzahlen oder sollen wir sie verweigern?“ Auch mit dieser Frage verrieten sie ihre Verlogenheit, denn für die Partei der Pharisäer genauso wie für die Herodianer war die Sache längst entschieden: Ja, sie lieferten Steuern ab an den Kaiser, wenn auch zähneknirschend, aber sie zahlten! Jesus erkannte die Maske der Schauspieler und stellte sie zuerst einmal zur Rede, bevor er auf die Frage einging. Damit hielt er sich an seine eigene Lehrempfehlung: „Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin. – Mach dem Täter bewusst, was er getan hat“. Er frage sie also: „Warum versucht ihr mir eine Äußerung zu entlocken, die mir zur Gefahr werden soll?“ Sie weigerten sich zu antworten. So erwiderte auch er nicht mit Worten, sondern mit einer Vorführung. Er forderte sie auf: „Bringt mir die römische Steuermünze, den Silber-Denar, die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Ich will einmal nachsehen.“ Daraus ist zu erkennen, dass Jesus keine solchen Münzen bei sich trug. Die Aufforderung klang so, als wolle er die Lösung der Frage von der Münze ablesen. Sie brachten einen Denar. Er nahm sie nicht in die Hand, sondern ließ sich genau schildern, was auf der Münze zu sehen war: „Wessen Bild und welche Aufschrift ist das?“ Sie sprachen zu ihm: „Des Kaisers.“ Es muss die Münze des damals herrschenden Kaisers Tiberius gewesen sein, der von 14 bis 37 n.Chr. regierte. Da stand in lateinischen Großbuchstaben und in Abkürzung darauf: >Kaiser Tiberius, des göttlichen Augustus anbetungswürdiger Sohn.< Das war eine für jüdisches Empfinden abscheuliche Gottesverehrung. So nebenbei: Damit entlarvten sich die ach so strenggläubigen Fragesteller, dass sie dieses frevelhafte Bild bei sich trugen – noch dazu am heiligen Ort des Tempels. Da sagte Jesus zu ihnen: „Also ist es ganz eindeutig. Ihr habt dem Kaiser abzuliefern, worauf der Kaiser Anspruch hat. Schließlich ist sein Abbild drauf! Damit bin ich aber noch nicht am Ende meiner Antwort. Das Bild Gottes ist auf dem Menschen. Versäumt also nicht, das an Gott abzuliefern, worauf Gott Anspruch hat, weil sein Bild drauf ist!“ Damit meinte er, dass Gott mehr will als Geld, nämlich den Menschen und dessen Hingabe. Mit dieser ausgewogenen Antwort hatten sie nicht gerechnet. Einige empfanden sogar Bewunderung für ihn.
Die frühen Christen sind dieser Empfehlung des Meisters Jahrzehnte später weiter gefolgt. Sie unterschieden zwischen dem Wert des Geldes und dem Wert des Menschen. Sie gingen soweit zu behaupten, ihr Körper sei der Wohnort Gottes. Paulus fragte erstaunt: „Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst“ (1Kor 6,19). Was Steuern betrifft, schrieb Paulus im Jahr 57 den Hauskreisen in Rom einen ganzen Absatz lang Weisungen zum Verhalten den staatlichen Behörden gegenüber. Er beginnt mit dem Satz: „Jeder ordne sich der staatlichen Gewalt unter. Denn es gibt keine staatliche Gewalt außer von Gott.“ Zu dem Zeitpunkt war Nero in Rom an der Macht (54 – 68 n.Chr.), er regierte im Jahr 57 zwar noch maßvoll, weil er auf die Worte des Philosophen Seneca hörte. Später schlug das Vertrauen in den weisen Berater ins Gegenteil um und die Regierung des Kaisers artete in Willkürherrschaft aus, Nero war getrieben von skrupelloser Gier nach Reichtum und befriedigte seine künstlerische Eitelkeit. Jede Opposition wurde blutig unterdrückt. Paulus selbst hatte im Jahr 60 noch auf einen Freispruch in seinem Gerichtsverfahren in Rom gehofft, wurde aber dann doch zum Tod mit dem Schwert verurteilt – wahrscheinlich im Jahr 62. Hätte er noch rechtzeitig erfahren, wie sich Nero zum Tyrannen gewandelt hatte, wer weiß, ob er dann noch solche Worte geschrieben hätte: „Denn die staatliche Gewalt steht im Dienst Gottes für dich zum Guten. ... Das ist auch der Grund, weshalb ihr Steuern zahlt; denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben“. (Siehe-Röm 13,1-7) Vierzig Jahre später verfasste der Prebyter Johannes das Buch der Offenbarung. Es zeugt von einer ganz anderen Meinung. Die Schrift nennt Nero verschlüsselt mit der Zahl 666 und sagt über ihn, er sei ein Tier, das unter der Führung des Drachen stehe, womit der Teufel gemeint war. Während Paulus lehrt, die Staatordnung stehe im Dienste Gottes, ist es für Johannes das Gegenteil . Das Staatsoberhaupt Nero steht im Dienste des Bösen. Wir dürfen diese Unterschiede der beiden Schriftstellen so stehen lassen.
Was kann uns die Stellungnahme Jesus zur Steuerfrage sagen? Heute fragen wir uns, ob es erlaubt ist, den mächtigen Konzernen so viel von sich preis zu geben. Ist es erlaubt, dass wir so viel Vertrauliches von uns hergeben für ihre Werbung und ihre Geschäfte. Vielleicht würde sich Jesus ein Handy reichen lassen und auf die Apps schauen und nachfragen: Wessen Name steht dahinter? Ist euch bewusst, wem ihr euch da ausliefert? Wenn ihr all die Dienste in Anspruch nehmt, müsst ihr in Kauf nehmen, dass der Anbieter Nutzen daraus zieht. Vielleicht würde sich ein Gespräch über die soziale Ungerechtigkeit entspinnen. Es sind weltweit 2200 Milliardäre, die über ungeheuer viel Reichtum verfügen. Sie ziehen sogar Gewinne aus den Krisenzeiten der Menschheit. Jesus hat nie aufgerufen, gegen das himmelschreiende Missverhältnis von Armen und Reichen aufzutreten. Er meint eher: Ihr bekommt Gelegenheiten, einem Armen in seinem Engpass zu helfen. Ihr könnt ihm Silbermünzen hinstrecken. Aber darüber hinaus sollt ihr in dem bedrängten Menschen die Züge Gottes erkennen. Nehmt euch die Zeit für Menschen, die sich zurück gesetzt fühlen, vergessen fühlen. Verschafft Kleinkindern ein wenig Himmel durch euer Dasein für sie – und wenn es nur Augenblicke sind. Glaubt an das Göttliche in dem Menschen und versucht es zu wecken. Stellt die Person gedanklich in die Nähe Gottes, in den Raum Gottes. „Gebt Gott, was Gottes ist.“